Kaum jemand kennt Leverkusens Trainer so gut wie Dietmar Hamann: Er spielte einst an der Seite von Xabi Alonso für Liverpool. Hier schreibt Hamann über Alonso und erzählt, was ihn zum derzeit begehrtesten Trainer des Weltfußballs macht. 

Als Xabi Alonso im Sommer 2004 zu uns nach Liverpool wechselte, gab es viele Zweifler in der Branche. Ob er das packt in der Premier League? Ist der nicht zu langsam? Xabi war tatsächlich nicht der Schnellste, zudem kam er von Real Sociedad aus der spanischen Liga, wo man damals keinen Tempofußball spielte, sondern eher ein kleinteiliges Kurzpass-Spiel pflegte. 

Nach wenigen gemeinsamen Trainingseinheiten war mir klar, dass dieser Xabi ein ganz außergewöhnlicher Fußballer ist. Und dass er sehr wohl schnell ist – nämlich im Kopf. Xabi wusste immer schon, wohin er den Ball passen würde, bevor er ihn überhaupt am Fuß hatte. Er war dem Spiel einen Schritt voraus. Erstaunlich für einen 22 Jahre alten Fußballer, denn diese Orientierung im Raum, diese Spielübersicht, dieses Gefühl für den Pass im richtigen Moment, das ist normalerweise die Sache von älteren Spielern. Es braucht Erfahrung dazu, Reife und Abgeklärtheit. Xabi jedoch besaß all dies schon als junger Profi. Er war ein Frühvollendeter. 

Ich mochte ihn gleich, diesen bescheidenen, bodenständigen Typen aus dem Baskenland, der nicht viele Worte machte. Vor allem mochte ich, was er auf dem Platz tat. Du merkst als Spieler sofort, ob einer den Scheinwerfer auf sich selbst richten und nur für sich glänzen will. Die technischen Fähigkeiten dazu hätte Xabi gehabt. Aber Showfußball habe ich nie von ihm gesehen. Im Gegenteil. Mit seinen Pässen hat er anderen eine Bühne bereitet, er hat seine Mitspieler ins Licht geschoben. 

Dietmar Hamann, 50, spielte mehr als zehn Jahre in der Premier League für Newcastle United, Liverpool FC und Manchester City. Der Gewinn der Champions League 2005 mit Liverpool war sein größter Erfolg. Hamann bestritt 59 Länderspiele für Deutschland und wurde mit der Nationalmannschaft bei der WM 2002 in Japan und Südkorea Zweiter. Heute ist er als Experte für den Pay-TV-Sender Sky tätig.
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Das hat ihm sehr viel Respekt eingebracht in der Mannschaft, und es hat auch den Geist bei uns im Team geprägt. Wir waren ein echtes Kollektiv. Einer für alle, alle für einen. Mag abgedroschen klingen, auf uns in Liverpool traf es zu.

Oftmals leiden Fußball-Mannschaften unter einer sogenannten Grüppchenbildung. Wir hatten damals einen spanischen Trainer, Rafael Benitez, und einige Spieler aus dessen Heimatland, Fernando Morientes, Luis Garcia, Josemi und Antonio Nunez. Das hat Xabi den Start erleichtert in Liverpool, sein Englisch war nicht das Allerbeste, doch eine spanische Community, in die er sich hätte zurückziehen können, gab es bei uns nicht. Es gab nur den Liverpool FC, die eine, große Mannschaft. 

Mit Wucht und Willen

Ich will diese Zeit nicht verklären, aber es war tatsächlich ein starkes Gemeinschaftsgefühl in der Saison 2004/05 – und dies bis zum Gewinn des wichtigsten Titels im Vereinsfußball. Wie sonst hätten wir das Champions League-Finale für uns entscheiden können? 0:3 lagen wir zurück gegen den AC Mailand, gegen diese Weltauswahl mit Leuten wie Cafu, Kaka, Seedorf, Pirlo und Schewschenko. Wir haben das Spiel gedreht mit Wucht und Willen. Xabi hat das Tor gemacht zum 3:3-Ausgleich in der 61. Minute, später ging es in die Verlängerung, danach ins Elfmeterschießen. 3:2 für uns, hieß es am Ende. Einen der Elfer habe auch ich reingemacht, gleich den ersten zum 1:0. 

Es war ein großartiger Abend im Atatürk-Stadion von Istanbul. Ein Abend, der wohl auch Xabi geprägt hat. Wenn ich ihn heute coachen sehe in Leverkusen, erkenne ich nämlich den Xabi aus Liverpooler Tagen wieder. Er hat bei Bayer eine Mannschaft aus hervorragenden Einzelspielern gebaut, aber niemand von ihnen beansprucht eine Sonderrolle, niemand ist auf einem Ego-Trip. Alle arbeiten nur für ein Ziel: das nächste Spiel zu gewinnen. Wie damals in Liverpool.

Es ist eine Kunst, eine ganze Mannschaft samt Reservisten hinter sich zu bringen. Xabi ist es gelungen. Er vertraut seinen Leuten, und sie vertrauen ihm. Sie spüren, dass er das Spiel in all seinen Verästelungen verstanden hat wie kaum jemand anders. Und sie spüren, dass er sie mag. Solch eine Kombination ist selten: Sachverstand und Einfühlungsvermögen. Xabi besitzt beides. Auch deshalb traue ihm eine große Karriere zu, er kann der Trainer der nächsten Dekade werden. Er hat alles, was es dazu braucht. The full package, wie man in England sagt.

Alonso ist seit 2022 Trainer von Bayer Leverkusen
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Manche in der Branche haben sich gewundert, dass er trotz des großen Erfolgs in Leverkusen bleibt und nicht zum FC Bayern geht oder Nachfolger von Jürgen Klopp in Liverpool wird. Mich hingegen überrascht Xabis Entscheidung nicht. Er ist ein loyaler Mensch, er weiß, dass er Bayer Leverkusen viel zu verdanken hat. Man hat ihm dort die Profimannschaft anvertraut, obwohl er als Trainer ein Nobody war, als er 2022 kam. Xabi ist mit Leverkusen gewachsen und umgekehrt der Klub mit ihm. Das schweißt zusammen.

Der Titelgewinn von Bayer Leverkusen wird keine Momentaufnahme bleiben, da bin ich mir sicher. Die Bayern werden zwar einen großen Umbruch einleiten mit neuem Trainer und neuen Spielern – und trotzdem wird es gegen diese Leverkusener sehr schwer werden. Sie spielen den aufregendsten Fußball der Liga, angeleitet von einem der klügsten Strategen des Weltfußballs. Wer soll sie stoppen? Ich freue mich schon jetzt auf die nächste Saison.