Die Leverkusener Meisterpartie geht schon vor dem Abpfiff los: Fans stürmen auf den Platz, es gibt kein Halten mehr. Die Konkurrenz verneigt sich vor der Werkself – auch der FC Bayern.
Die umjubelten Leverkusener Meisterhelden um Hattrick-Schütze Florian Wirtz bahnten sich ihren Weg durch weinende und lachende Fans. Zwischen Ekstase und Ergriffenheit kannten die Emotionen von Spielern und Anhängern nach einem Platzsturm keine Grenzen mehr. Selfies, Umarmungen, Küsse und die Gratulationen der Konkurrenz: Vizekusen ist vorbei!
„Wir müssen das genießen für die Geschichte dieses Vereins“, sagte Trainer Xabi Alonso im Meister-T-Shirt und gab den Startschuss für einen berauschenden Restabend: „Es ist ein Super-Moment und es ist ein Moment zu feiern.“ Bayer 04 Leverkusen hat unter Alonso sein Trauma abgelegt und zum ersten Mal die deutsche Fußball-Meisterschaft gewonnen.
„Es ist unbeschreiblich. Ich kann das noch gar nicht persönlich realisieren“, sagte Nationalspieler Wirtz beim Streamingdienst DAZN. Wenig später musste er mehrere Bierduschen vor laufender Kamera über sich ergehen lassen. „Emotionen pur. Da fließt wirklich alles durch den Körper“, sagte Nationalmannschaftskollege Jonas Hofmann: „Es ist wirklich einfach nur geil.“
Zu Ehren des Meistermachers Alonso erklang auch noch „Viva España“ in der BayArena, auf deren Rasen zigtausende Fans die Mannschaft feierten. „Einige Male hatte der Verein in der Vergangenheit den Titel nur knapp verpasst, umso größer ist sicher jetzt die Freude“, sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf nach dem Titelgewinn der Leverkusener.
Der Werksclub machte den Triumph bereits am 29. Bundesliga-Spieltag durch einen 5:0 (1:0)-Heimsieg gegen den SV Werder Bremen perfekt, beendete damit die Serie des FC Bayern nach elf Titeln nacheinander und stürzte sich zusammen mit den Fans in die Party. „Wir haben gar nicht solche Partybiester“, sagte Wirtz zur Frage nach den Feier-Anführern, kündigte aber an: „Es gibt kein Ende heute.“
„Gratulation zu dieser herausragenden Saison und zum Meistertitel!“, schrieben die Münchner voller Hochachtung. „Bayer 04 Leverkusen ist in dieser Saison die beste deutsche Mannschaft und der Titel absolut verdient“, sagte Bundestrainer Julian Nagelsmann.
DFB-Sportdirektor Rudi Völler – einst selbst viele Jahre Bayer-Funktionär betonte: „Den Begriff „Vizekusen“ habe ich noch nie leiden können – jetzt ist er Geschichte und das absolut zurecht.“ Bayer Leverkusens Vorstandschef Fernando Carro meinte: „Die Geschichte hat uns auch noch eine Schale geschuldet.“
Nur die Bayern waren schneller Meister
Die in dieser Saison überragende Mannschaft von Trainer-Shooting-Star Alonso sorgte auch für eine der frühesten Titelentscheidungen in Deutschland. Noch schneller schaffte es bislang nur der Rekordmeister aus München 2014 am 27. Spieltag und ein Jahr zuvor am 28. Spieltag.
Bayer führt die Tabelle nun mit 79 Punkten uneinholbar an und stellte auch eine Punktebestmarke zu diesem Zeitpunkt auf. Weit vor dem Abpfiff feierten die Fans in Leverkusen bereits ihre Mannschaft, nach dem vierten Treffer rannten schon einige auf den Platz, die Partie musste ein paar Minuten unterbrochen werden, nach dem fünften Tor und dem erneuten Platzsturm pfiff der Schiedsrichter ab. Torjäger Victor Boniface (25. Minute/Foulelfmeter), Granit Xhaka (60.) und Florian Wirtz (68./83./90.) mit einem Hattrick sorgten für die Tore der seit nunmehr 43 Spielen wettbewerbsübergreifend ungeschlagenen Leverkusener – und noch zwei weitere Titeloptionen hat.
Ab jetzt gilt: „Meisterkusen“
Schon Stunden vor dem Spiel herrschte rund um die später mit 30.210 Zuschauern ausverkaufte BayArena Volksfeststimmung. Mit Böllern, Silvesterraketen und lauten Gesängen wurde der Mannschaftsbus empfangen. Mützen und Schals, auf denen „Deutscher Meister 2024“ stand, wurden verkauft. Fans hielten Schilder hoch, auf denen „Meisterkusen“ stand. Das wenig schmeichelhafte Prädikat „Vizekusen“, das dem Werksclub seit dem Beginn dieses Jahrtausends anhaftete, war durchgestrichen. „Das merkt man, dass die Euphorie heute noch mal einen Höhepunkt erreicht“, sagte Leverkusens Sport-Geschäftsführer Simon Rolfes beim Streamingdienst DAZN vor dem Anpfiff.
Bayer wirkte trotz deutlich mehr Spielanteilen zu Beginn noch etwas nervös. Alonso hatte auch wohl angesichts des Viertelfinal-Rückspiels in der Europa League am Donnerstag bei West Ham United die Stars Wirtz, Jeremie Frimpong und Alejandro Grimaldo zu Beginn noch geschont, sie kamen erst nach der Pause. Dafür stand Jonas Hofmann wieder in der Startelf. Und ein Foul am ehemaligen Gladbacher nach gut 20 Minuten sorgte für den Party-Startschuss.
Ein Elfmeter leitet den Titelabend ein
Der Videoschiedsrichter Pascal Müller machte den Referee Harm Osmers auf das Vergehen von Julián Malatini an Hofmann im Strafraum aufmerksam. Erst nach dem Anschauen der Zeitlupe entschied Osmers auf den Strafstoß. Boniface verwandelte sicher. Für den lange verletzten Nigerianer war es das erste Bundesligator seit Dezember 2023.
Der Rest des Spiels wurde zum Jubellauf für Bayer. Xhakas zweiter Saisontreffer sorgte endgültig für die Erlösung und Wirtz‘ nicht unhaltbarer Weitschuss für ausgelassene Glückseligkeit. Beim zweiten Treffer von Wirtz stürmten die inzwischen aufgeputschten Bayern-Anhänger schon in Scharen aufs Spielfeld und konnten nur mit Mühe wieder zurückgedrängt werden.
Die Dauer-Dominanz der Bayern in der Liga ist damit gebrochen. Zuletzt war der entthronte Titelverteidiger elfmal in Serie deutscher Meister. Davor hatte in Borussia Dortmund 2012 zuletzt ein anderes Team den Titel geholt.
Noch zwei Titel sind drin
In dieser Spielzeit konnten die schwächelnden Bayern Leverkusen aber nicht ansatzweise ausbremsen. Der Werksclub, der zuletzt 1993 mit dem DFB-Pokalsieg einen Titel geholt hatte, hat in diesem Jahr sogar noch die Aussicht auf zwei weitere Titel. Am 25. Mai steht das Pokalfinale gegen den abstiegsbedrohten Zweitligisten 1. FC Kaiserslautern an und in der Europa League ist Bayer ebenfalls noch aussichtsreich im Rennen.
Meistermacher Alonso erreichte in seiner noch jungen Trainerkarriere mit der Meisterschaft den ersten Meilenstein. Der ehemalige Weltklassespieler hatte die Werkself am 5. Oktober 2022 als Tabellen-17. der Bundesliga übernommen, in der vergangenen Spielzeit schon in die Europa League geführt und in dieser Spielzeit zum Meister geformt, der diesen denkwürdigen Abend in vollen Zügen mit Bier und Pizza noch in den Katakomben genoss.