Zwei Mordaufträge und ein millionenschweres Kokaingeschäft: Mansour Ismail dürfte einer der gefährlichsten Verbrecher Hamburgs sein – und neuerdings einer der meistgesuchten Europas

Die Täter kamen maskiert, und sie kannten ihr Ziel. Eine kühle Sommernacht in Hamburg-Hohenfelde, Viertel ohne Glanz am Rande des Zentrums. Die Shisha-Bar an der mehrspurigen Straße hat noch geöffnet. Um kurz nach elf treten die Maskierten, ganz in Schwarz gekleidet, in das Lokal mit den bunten Polstermöbeln.

Unter den Gästen an diesem Abend ist auch Terry S., ein kräftiger Mann mit Bart am Kinn. Später werden Medien berichten, er habe die Bar häufig besucht – und er sei verwickelt gewesen in Drogengeschäfte.

Zügig steuern die Maskierten auf Terry S. zu, unvermittelt eröffnet einer der beiden das Feuer. Die Schüsse treffen Kopf und Herz. Terry S. stirbt in dieser Nacht auf den 28. Juli 2022 im Alter von nur 27 Jahren. Die Täter entkommen unerkannt.

Offenbar hatten sie einen klaren Auftrag.

Mansour Ismail gerät in den Fokus

Knapp zwei Jahre später kennen die Ermittler noch immer nicht die Täter. Aber offenbar sind sie sicher, den Mann zu kennen, der den Mordauftrag erteilt hat. Im Verdacht haben sie Mansour Ismail, 29 Jahre alt, Deutscher mit ägyptischen Wurzeln, mutmaßlicher Drogenboss – und neuerdings einer der meistgesuchten Verbrecher Europas. In der vergangenen Woche startete das Landeskriminalamt (LKA) Hamburg eine europaweite Öffentlichkeitsfahndung nach dem Flüchtigen, Europol hat ihn auf die Liste der „Europe’s Most Wanted“ gesetzt. Am heutigen Mittwoch ist die Fahndung Thema bei „Aktenzeichen XY“ (ZDF, 20.15 Uhr).

Der große Fahndungsaufwand dürfte auch damit zu tun haben, dass die Ermittler Mansour Ismail nicht nur hinter dem Shisha-Bar-Mord an Terry S. vermuten. Er soll auch den Auftrag für ein weiteres aufsehenerregendes Verbrechen erteilt haben: Anfang Januar 2023 durchsiebten zahlreiche Schüsse einen Audi Q8 an einer Ampel im Hamburger Stadtteil Tonndorf, die beiden Insassen erlitten teils lebensgefährliche Verletzungen. Wie in der Shisha-Bar ein halbes Jahr zuvor waren es zwei Täter. Auch in diesem Fall konnten sie unerkannt entkommen.

In beiden Fällen, so die Überzeugung der Ermittler, ging es um Drogen. In den vergangenen Jahren soll Mansour Ismail zu einem der führenden Köpfe im Hamburger Drogengeschäft aufgestiegen sein und vor allem mit Kokain und Marihuana gehandelt haben. Nach übereinstimmenden Medienberichten unterhält er ein ganzes Netzwerk aus sogenannten „Kokstaxis“, die den Endkonsumenten innerhalb kurzer Zeit die Drogen vor die Tür liefern – in den meisten Großstädten inzwischen die häufigste Vertriebsform. Sowohl mit Terry S. als auch mit den beiden Opfern aus Tonndorf hatte Mansour Ismail offenbar eine Rechnung offen. Vielleicht hatten sie ihre Schulden bei ihm nicht gezahlt, vielleicht hatten sie ihm Drogen gestohlen. Jedenfalls sollten sie sterben.

Droht Hamburg ein Bandenkrieg?

Der Hamburger Hafen gilt schon seit langer Zeit als eins der größten Einfallstore für Kokain in Europa. Immer wieder fängt der Zoll tonnenschwere Lieferungen ab, der Großteil aber bleibt unentdeckt – und verspricht Millionengewinne, die Kriminelle mit Gewalt verteidigen. Anders als in Antwerpen oder Rotterdam hat das Kokaingeschäft in Hamburg aber bislang keine größeren Bandenkriege ausgelöst. Der Fall von Mansour Ismail scheint zu zeigen, dass sich das jederzeit ändern könnte.

Übereinstimmenden Medienberichten zufolge begann Mansour Ismail seine Dealer-Karriere bereits vor Jahren als Handlanger von anderen Hamburger Drogenbossen. Diese sollen festgenommen worden sein, nachdem verschlüsselte Kommunikationsdienste wie EncroChat geknackt wurden, über die Verbrecher auf der ganzen Welt ihre Geschäfte lenkten. Mansour Ismail übernahm offenbar das Geschäft seiner früheren Bosse.

PAID 48_22 Kokainschmuggel Hamburg 12.25

Bereits Anfang 2020 wurde Mansour Ismail zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt – er hatte auf der Hamburger Reeperbahn einen Mann brutal verprügelt. Die Haftstrafe aber trat er nie an, nach der Verurteilung setzte er sich ab. Die Ermittler glauben: nach Spanien. Von dort soll er laut Medienberichten weiter in die Türkei geflohen sein. Dies wollte eine Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft auf Anfrage jedoch nicht bestätigen: „Die letzte Spur führt nach Spanien“, so die Sprecherin. „Wir wissen nicht, wo er sich derzeit aufhält.“

Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat eine Belohnung von 5000 Euro für Hinweise ausgesetzt, die zur Lokalisierung oder Ergreifung des Tatverdächtigen führen. Unter der Rufnummer 040 4286 56789 nimmt die Polizei Hinweise entgegen.