Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich für einen „neuen Patriotismus“ in Deutschland ausgesprochen. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und der Zusammensetzung der heutigen Gesellschaft müsse dieser „ohne Überheblichkeit und nachdenklich“ sein, schreibt Steinmeier in seinem am Mittwoch in Buchform erschienenen Essay „Wir“. Er spricht darin von einem „Patriotismus der leisen Töne“, der „um die hellen und die dunklen Tage unserer Geschichte“ wisse und „neu aus den Lebenslagen der Menschen, die in unserem Land leben“, wachse.

Die „wichtigsten Tugenden unseres Patriotismus“ seien „Wahrhaftigkeit und Bereitschaft zur Verantwortung“, führt Steinmeier in seiner Schrift aus. „Die deutsche Geschichte ist eine gebrochene Geschichte, mit der Verantwortung für millionenfachen Mord und millionenfaches Leid“, schreibt Steinmeier und betont: „Wir können dieses Land nur mit gebrochenem Herzen lieben.“

Steinmeier schreibt, dass sich Deutschland patriotische Gefühle „schwer gemacht“ habe. Er spricht damit einen „jahrzehntelang geäußerten Widerwillen in Teilen der Bevölkerung“ an, „die Verantwortung für unsere Geschichte zu tragen“. Doch die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte – Steinmeier nennt dies „Fähigkeit zur Selbstaufklärung“ – habe „unsere demokratische Entwicklung erst möglich gemacht“, die „demokratischen Patriotismus von engstirnigem Nationalismus“ unterscheide.

Steinmeier betont aber auch, dass sich die Gesellschaft in Deutschland durch Zuwanderung in den vergangenen Jahrzehnten verändert habe. „In unserem Land mit Migrationshintergrund, an dessen Schulen in den Großstädten bereits 70, 80 oder mehr Prozent der Kinder aus Familien stammen, die aus allen Himmelsrichtungen eingewandert sind, wird sich ‚Mehrheit‘ künftig nicht auf Ethnie, Religion oder Kultur beziehen“, schreibt Steinmeier. 

Zugehörigkeit speise sich heute vielmehr „aus anderen Quellen, allen voran aus der Zustimmung zu den Regeln, die wir uns in demokratischen Verfahren geben“. Aus diesem Bewusstsein könne „eine neue Art von demokratischem Patriotismus“ entstehen. „In den Umbrüchen und Aufbrüchen unserer Zeit plädiere ich also für diesen demokratischen Patriotismus“, schreibt Steinmeier. 

„Lassen wir den Entfremdungen nicht da letzte Wort, sondern wenden wir uns einander zu und übernehmen Verantwortung füreinander“, fordert Steinmeier – und weiter: „Öffnen wir die Identität unseres Gemeinwesens für neue Geschichten der Einwanderer, fest verankert in der historischen Verantwortung, die wir als Deutsche gemeinsam tragen“. Es sei gut, „‚wir‘ sagen zu können, frei von Hochmut, aber entschlossen und ohne Furcht“, betont der Bundespräsident.

Am Mittwoch erschien im Suhrkamp-Verlag das rund 140-seitige Essay „Wir“ des Präsidenten. Dieses solle ein „Plädoyer gegen die Sehnsucht nach Vergangenheit und für den Mut zur Zukunft“ sein, sagte Steinmeier am Mittwoch bei einer Veranstaltung zur Buchveröffentlichung im Schloss Bellevue. Er stelle sich damit „gegen das besser Wissen und für das besser Machen, gegen den Blick aufs Trennende und für das Gemeinsame“, sagte der Bundespräsident.