Das Containerschiff „Dali“ hat am 26. März die Francis Scott Key Bridge gerammt und zerstört. Der Schaden geht in die Milliarden, sechs Menschen starben. Nun stellt sich die Frage, wie das geschehen konnte.

Der Unfall geschah aus heiterem Himmel, weder Unwetter noch Einflussnahme Dritter führten zu dem Unglück, bei dem das Containerschiff „Dali“ die Brücke im US-amerikanischen Baltimore rammte und die Brücke so zum Einsturz brachte. Die Bilder gingen um die Welt, sechs Menschen starben. Auf den Weltmeeren sind immer größere Containerschiffe unterwegs, zu Öltankern haben sich Gastanker gesellt, dazu kommen Kreuzfahrer mit Tausenden von Menschen an Bord. Die Untersuchung der „Dali“ wird auch darüber Auskunft geben, wie sicher diese Schiffe sind.

Das Unglück von Baltimore war eine Abfolge von Fehlern

Ergebnisse der offiziellen Untersuchung werden noch auf sich warten lassen. Videoaufnahmen des Schiffs zeigen nicht die Ursache des Unglücks, aber geben wertvolle Hinweise. Schon kurz nach dem Unfall hat der Chefingenieur der Maersk Reederei, Michael Buckley, seine Beobachtungen in einem nicht-öffentlichen Beitrag geschildert, der dem stern vorliegt.

Zeitprotokoll Baltimore 13:30

Das Unglück ereignete sich demnach als eine Abfolge von Fehlern, die sich zu einer Kaskade auswuchsen. Es ist zu erkennen, dass es vor dem Unglück auf dem Schiff zu einem Zusammenbruch der Stromversorgung kommt – die Lichter fielen komplett aus. Die Besatzung meldete auch einen „totalen Stromausfall“. Das bestätigte der Gouverneur von Maryland, Wes Moore.

Ohne Strom ist die Besatzung hilflos 

Strom hält alles an Bord in Gang. Er sorgt nicht nur für Lichter und Navigation. Das Ruder des Schiffes und der Antrieb hängen von ihnen ab, weil die Pumpen, die den riesigen Dieselmotor mit Kraftstoff, Öl und Wasser versorgen, mit Strom betrieben werden.

Ingenieur Buckley geht davon aus, dass drei von vier Generatoren an Bord gelaufen sind, als das Schiff den Hafen verließ und durch die Brücke steuern wollte. Seiner Meinung nach lässt sich der Ausfall von drei Generatoren auf einmal nur durch zwei Ursachen erklären: Ein Zusammenbruch der Treibstoffversorgung oder ein Fehler im elektronischen System. Derzeit kennt niemand diesen primären Defekt. Er führte dazu, dass die Stromversorgung komplett abgeschaltet wurde. In diesem Moment versinkt das Schiff in der Dunkelheit. Danach startet der Notfall-Generator. Er befindet sich auf einem anderen Platz am Schiff und besitzt eine eigenständige Versorgung – es ist also nicht einfach nur ein fünfter Generator in Reserve.

Pycix Ocean Segelschiff 13.18 Uhr

Radikale Ausweichmanöver der „Dali“

Die Maschine startet, die Lichter gehen an. Auf offener See wäre die Krise damit ausgestanden und die Mannschaft hätte das Schiff wieder unter Kontrolle bringen können. Nur befand sich die „Dali“ nicht auf offener See. In einem kurzen Moment ohne Strom hat der Antrieb gefehlt und das Ruder ist so stehen geblieben, wie es gerade stand. Nun muss der Kapitän bemerkt haben, dass der zufällig entstandene Kurs sein Schiff gegen die Brücke fahren ließ.

Er reagierte sofort mit „Volle Kraft“ zurück. Schon bei einem intakten Schiff ist es ein Kraftakt, wenn das Schiff aus der Fahrt nach vorn so abgebremst wird. Buckley erkennt das Manöver an der Rauchwolke, die aufstieg, als der 55.000-PS-Maschine die volle Kraft abverlangt wird. James Mercante, der Präsident des New York Board of Pilot Commissioners, erwähnte gegenüber CBS auch die „große, große Wolke schwarzen, wirklich dunkel schwarzen Rauchs“, Auch für ihn ein Zeichen, dass die Stromversorgung des Schiffes „in letzter Minute wiederhergestellt“ wurde und dass der Pilot „den Versuch unternahm, Notmanöver durchzuführen“, um den Aufprall zu vermeiden.

Systeme auf dem Containerschiff unter Vollast

Mercante sagte auch, dass man in der kurzen Zeit so ein Schiff nicht einfach anhalten kann. „Das ist ein Gigant“. Aus den Bewegungen des Schiffes schließt Ingenieur Buckley, dass der Kapitän nicht nur das große Ruder am Heck einsetzte, sondern auch das Bugstrahlruder. Die Quersteueranlage besteht bei einem Schiff der Größe der „Dali“ aus mehreren Tunneln, die unter der Wasserlinie quer im Schiff liegen. In jedem Tunnel sitzt ein Propeller. Diese Anlage drückt das Schiff vorn in den gewünschten Kurs. Damit kann der Kurs sehr viel stärker verändert werden als durch das Heckruder allein.

Diese Manöver waren ein verzweifelter, aber richtiger Versuch, die Katastrophe zu verhindern. Doch nun arbeiteten Schiffsmaschine, das Hauptruder und das Bugstrahlruder unter maximaler Last und das überforderte das elektrische System – die Stromversorgung fiel erneut aus, die „Dali“ trieb trotz der Versuche der Besatzung auf die Brücke zu. So deutet Ingenieur Buckley das Video. 

Damit erklärt er die verhängnisvolle Kaskade, das ursprüngliche Problem, das zum Ausfall der Stromgeneratoren führte, ist damit nicht erklärt. Verunreinigter Kraftstoff könnte für den Ausfall verantwortlich sein. Im August 2023 führte kontaminierter Treibstoff zu Problemen von 32 Schiffen auf dem Weg von Texas. Einige berichteten von einem Strom- und Antriebsverlust auf See. Auf der „Dali“ werden daher Treibstoffproben genommen. Gegen die Treibstoff-These spricht allerdings, dass andere Schiffe mit der Charge bislang keine Probleme hatten.

WISSEN Schrottwrack

Henry Lipian, ein Unfallermittler, sagte der „New York Times“, dass der immer stärkere Einsatz von automatischen Steuerungen das Unglück verursacht haben kann. „Ich kann nicht ausschließen, dass ein Computerfehler alle Ventile oder Pumpen, die den Kraftstoff liefern, abgeschaltet hat.“

Mögliche Ursache in der elketronischen Steuerung 

Eine weitere Möglichkeit ist eine Kettenreaktion in der elektronischen Steuerung, die dazu führt, dass Probleme mit einem Generator eine Überlastung der anderen hervorrufen und dann alle „normalen“ Stromgeneratoren abgeschaltet werden. Andere Generatoren laufen dann Gefahr, beschädigt zu werden, so dass das System sie ebenfalls abschaltet, sagte Richard Burke, Professor für Schiffsarchitektur und Meerestechnik, der „New York Times“. „Es ist, als würden wir beide ein schweres Gewicht hochhalten und ich lasse es los. Sie können es nicht allein halten, also lassen auch Sie das Gewicht fallen.“

Überspitzt formuliert: Ein Prozess, der eigentlich zur Sicherheit an Bord beitragen soll, könnte die Krise verschärfen, weil er „vorsichtshalber“ die verbliebenen Generatoren schützen wollte. Und der Notstromgenerator der kritischen Situation nicht gewaschen war. Das Notstromaggregat sollte eigentlich jeden Monat zwei Stunden getestet werden. Es wird sich zeigen, ob das auch geschehen ist. Bei solchen Übungen wird das Aggregat aber nicht regelmäßig vom Tiefschlaf in die Überlast getrieben.

Quelle: NYT, CBS