Es gibt genügend Ausbildungsplätze und Personal ist gefragt. Trotzdem hat knapp jeder fünfte junge Mensch in Deutschland keinen Berufsabschluss – aus verschiedenen Gründen. 

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Ob in der Altenpflege oder im Handwerk: Qualifizierte Arbeitskräfte werden händeringend gesucht. Ein ungenutztes Potenzial, das diese Lücke verkleinern könnte, sind junge Erwachsene. Doch die bleiben zunehmend ohne Berufsabschluss. 2,86 Millionen der 20- bis 34-Jährigen verfügten 2022 über keine formale Qualifikation, hat das Statistische Bundesamt jüngst ermittelt. Das entspricht fast einem Fünftel der Altersgruppe und stellt einen neuen Höchstwert dar. Ein Jahr zuvor waren es noch 2,64 Millionen oder 17,8 Prozent. Die Zahlen stammen aus einem Entwurf des neuen Berufsbildungsberichts für das Jahr 2024, der dem „Handelsblatt“ und der Deutschen Presseagentur vorliegen und den das Bundeskabinett in einigen Wochen verabschieden wird. 

Junge ohne AbschlussZahl Counter Flourish

„Die Zahl junger Menschen ohne Berufsabschluss steigt offenbar ungebremst weiter“, sagte Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Auch Brigitte Schels, Arbeitsmarktexpertin vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), beobachtet das Problem schon seit längerer Zeit: „Dass immer mehr junge Menschen keinen Berufsabschluss vorweisen können, ist ein Trend, der sich schon länger abzeichnet.“

Arbeitskräftemangel: Offene Stellen für Ausgebildete

An der Nachfrage liegt es nicht. Im vierten Quartal 2023 zählte das IAB bundesweit knapp 1,73 Millionen offene Stellen. Allerdings sind höchstens ein Viertel davon für Ungelernte geeignet. Um die 60 Prozent der offenen Stellen sind für Personen mit Ausbildungsabschluss vorgesehen und für knapp 20 Prozent der zu besetzenden Positionen benötigen Bewerber ein Studium.

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Bereits der Blick auf diese Zahlen zeigt, dass der beruflichen Ausbildung eine zentrale Rolle bei der Lösung des zunehmenden Arbeits- und Fachkräftemangels zukommt. „Eine berufliche Ausbildung ist bei vielen qualifizierten Stellen die Grundvoraussetzung, um sie zu besetzen“, sagt Schels im Gespräch mit Capital. „Sie ist aber auch der Grundstein für ein sicheres Einkommen und eine stabile Erwerbskarriere.“ Personen ohne Ausbildung oder Studienabschluss seien von unterdurchschnittlichen Verdiensten und Niedrigrenten bedroht. Sie hätten außerdem ein deutlich erhöhtes Risiko, arbeitslos zu werden und langfristig ohne Beschäftigung zu bleiben.

Angebot und Nachfrage übersteigen Zahl der Ausbildungsverträge

Die Gründe, warum die Ausbildung bei so vielen jungen Erwachsenen scheitert, sind laut Arbeitsmarktexpertin Schels komplex. Drei Ursachen nennt sie: „Wir haben in Deutschland einen konstant hohen Anteil von jungen Menschen, die die Schule ohne einen Schulabschluss beenden.“ Dieser sei nach wie vor eine der wesentlichen Voraussetzungen für Chancen auf eine Lehrstelle. „Wer den ersten Schritt nicht schafft, für die oder den wird es später nicht leichter“, so Schels.

Hinzu kommt, dass Betriebe und Ausbildungssuchende immer seltener zusammenfinden. Nach den Ergebnissen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) wurden im Berichtsjahr 2023 insgesamt 489.200 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen. Gleichzeitig blieben 73.400 Ausbildungsstellen unbesetzt, obwohl noch 63.700 junge Menschen auf der Suche waren. „Angebot und Nachfrage kommen nicht überein, weil die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sich für andere Berufe interessieren als der Ausbildungsmarkt hergibt“, erklärt Schels. So ist nach Zahlen des BIBB etwa das Angebot an handwerklichen Lehren, etwa zum Klempner, zum Stahlbetonbauer oder Gerüstbauer groß, doch die Firmen würden kaum Bewerberinnen und Bewerber finden. In anderen Ausbildungsberufen wie zur Tiefpflegerin, zum Raumausstatter oder zur Floristin gibt es dagegen mehr Interessenten als freie Plätze. Auch regional variiert das Ausbildungsangebot.

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Ein weiterer Faktor, der zur hohen Zahl an ungelernten jungen Menschen beitrage, sei die Fluchtmigration. „Unter den jungen Menschen, die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind, haben viele keinen Ausbildungsabschluss“, so Schels. Geflüchtete und Zuwanderer würden mitunter aus Ländern kommen, die ein komplett anderes Bildungssystem haben, wo es keine betriebliche Ausbildung gibt oder die Lehre nur von marginaler Bedeutung ist. Ein ungewohntes System und Sprachbarrieren seien nur zwei Gründe, warum Geflüchtete es bei der Ausbildungssuche schwer hätten.

Berufsabschluss dank Ausbildungsgarantie?

Um die Ungelernten in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu integrieren, sind verschiedene Maßnahmen notwendig. Das weiß auch die Bundesregierung, zum 1. April die Ausbildungsgarantie eingeführt hat: Wer keinen Ausbildungsplatz im Betrieb findet, hat seit dem 1. April ein Recht auf eine außerbetriebliche Ausbildung. Deren Dauer soll 24 bis 42 Monate betragen und mit einem vollqualifizierten und formell gleichwertigen Berufsabschluss enden.

Die Ausbildungsgarantie hält auch IAB-Expertin Schels für einen guten und wichtigen Schritt, der einen zentralen Beitrag dazu leisten könne, mehr jungen Menschen einen Berufsabschluss zu ermöglichen. Doch so komplex wie die Ursachen für die hohe Zahl der Ungelernten seien auch die Lösungen. „Junge Menschen müssen erst mal über ihre vielfältigen Möglichkeiten Bescheid wissen“, so Schels. Praktika und schulische Angebote zur Berufsorientierung könnten dabei helfen herauszufinden, welcher Beruf zu einem passt.

Und wer erst einen Ausbildungsvertrag mit einem Betrieb geschlossen hat, muss dann auch noch durchhalten. Ausbildungsbegleitende Hilfen in Berufsschule und Betrieb oder modularisierter Ausbildung mit kleineren Zwischenschritten, könnten dabei helfen.