Der Bundeskanzler hat jetzt seinen eigenen Tiktok-Kanal. Im ersten Video ist Olaf Scholz selbst zu erleben – ausgerechnet als stummer Statist.
Spannungsgeladene Musik untermalt den Weg zweier Füße in weißen Sneakern über einen taubengrauen Teppichboden. Vor einer schwarzen Aktentasche mit zwei silbernen Schnallen kommen sie schließlich zum Halten. Die Tasche kennt man doch? Sie gilt als treuer Begleiter des Bundeskanzlers. Und tatsächlich, abrupter Schwenk nach links: Neben einer Deutschland-Fahne sitzt Olaf Scholz (SPD) an seinem Schreibtisch mit dem roten Telefon im Bundeskanzleramt.
13 Sekunden dauert das erste Video des „Team Bundeskanzler“ auf Tiktok. Am Montag ist der Kanal gestartet. „Wir sind genauso überrascht wie ihr“, heißt es in der Beschreibung des Videos. „Und ja, der Bundeskanzler ist jetzt wirklich auf Tiktok.“
Ganz überraschend kommt der Kanal dabei nicht. Scholz hatte sich zuletzt dafür ausgesprochen, dass die Regierung die umstrittene App nutzen solle. Es sei wichtig, dass man auf allen Kanälen aktiv sei und wahrgenommen werden könne mit den Informationen, die man zu liefern habe, sagte der SPD-Politiker etwa bei einem Bürgerdialog in Dresden Ende Februar.
Im März startete Gesundheitsminister Karl Lauterbach (ebenfalls SPD) als erstes Mitglied des Kabinetts seinen Kanal. Auch im Bundestag beginnen immer mehr Abgeordnete über ihre Politik und ihren Alltag auf Tiktok zu informieren. International schließt Scholz nun unter anderem zu den Präsidenten der USA und Frankreichs, Joe Biden und Emmanuel Macron, auf, die beide bereits auf der App vertreten sind.
Neben Olaf Scholz nutzen auch andere Politiker Tiktok
Dabei ist die Nutzung der App für die Politik eine Zwickmühle. Einerseits gibt es seit jeher massive Datenschutzbedenken. Das liegt vor allem daran, dass die App dem chinesischen Mutterkonzern ByteDance gehört. Nach chinesischem Recht könnte Tiktok von staatlichen Stellen, etwa den chinesischen Geheimdiensten, verpflichtet werden, Daten herauszurücken.
„Das Argument, dass ByteDance Ltd. sich Zugriffen des chinesischen Staates bzw. chinesischer Sicherheitsbehörden aufgrund der chinesischen Rechtslage im Zweifel nicht entziehen könnte, ist inhaltlich zutreffend“, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Unionsfraktion aus dem April 2023. In den USA gibt es aus diesen Gründen zur Zeit sogar das Bemühen, Tiktok zu einem Eigentümer-Wechsel zu zwingen.
Andererseits wird die App so zahlreich genutzt, dass in der Auffassung vieler Politikerinnen und Politiker kein Weg mehr an ihr vorbei führt. Jede vierte Person in Deutschland, rund 21 Millionen Bürgerinnen und Bürger, sollen die App nach Unternehmensangaben nutzen. Bei den 14- bis 25-Jährigen ist es sogar die meistgenutzte App, so eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Appinio von Ende 2022. Diese Entwicklung will man nun auch in der Bundesregierung nicht mehr ignorieren.
Karl Lauterbach: Auf Tiktok „Gegengewicht zur AfD“
Ein weiteres Argument für die Präsenz auf der Plattform, auf der auch viel Desinformation verbreitet wird: den Raum nicht der AfD zu überlassen. Unter den politischen Parteien hat die AfD bislang die stärkste Präsenz auf Tiktok. „Ich werde versuchen, dort auch ein gutes Gegengewicht zur AfD zu bilden“, sagte Gesundheitsminister Karl Lauterbach dem Nachrichtenportal „t-online“ zum Start seines Tiktok-Kanals.
Tiktok schränkt AfD-Politiker Krah Reichweite ein 19:19
Wie geht der Bundeskanzler künftig mit dem Tiktok-Dilemma um? Man habe die Kritik gründlich abgewogen, die es berechtigterweise an Tiktok gebe, heißt es in Regierungskreisen. Im Kampf gegen ausländische Manipulationsversuche und Desinformation sei es aber wichtig, Nutzerinnen und Nutzern auch auf dieser Plattform verlässliche Informationen zu geben.
Tiktok soll nicht auf Dienstgeräten installiert werden
Um auf die Bedenken der Datensicherheit einzugehen, hat sich die Social-Media-Abteilung des Bundespresseamts, die den Kanal betreibt, offenbar extra neue Handys zugelegt. Diese sollen ausschließlich für Tiktok benutzt werden. Dadurch soll verhindert werden, dass interne Daten der Behörde, die auf anderen Endgeräten gegebenenfalls gespeichert sind, an Tiktok fließen können. Deshalb dürfen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundespresseamts die App auch nicht auf ihren eigentlichen Dienstgeräten installieren.
Welche Inhalte genau die Tiktok-Nutzerinnen und -Nutzer auf dem Kanal erwarten können, ist noch offen. Es soll darum gehen, Einblicke in die Arbeit des Bundeskanzlers und anderer Regierungsmitglieder zu geben, heißt es – ein Blick hinter die Kulissen des Regierungsalltags. Im ersten Video ist Scholz dabei nur als stummer Statist zu erleben. Das dürfte sich allerdings in der Zukunft noch ändern.
Ob der Kanzler auch tanzen wird? Schließlich machte die App zumindest in ihrer Anfangszeit vor allem über Tanz-Trends auf sich aufmerksam. Nach der Bundestagswahl 2021 hatte Regierungssprecher Steffen Hebestreit zur Debatte um die Nutzung des Sozialen Netzwerks gesagt: „Dem Kanzler kann ich schon versprechen, dass er demnächst Tiktok tanzen kann, wenn wir das gemeinsam entscheiden.“ Er fügte dann noch hinzu: „Der Blick (des Kanzlers) deutet mir an, dass wir da noch ein paar Diskussionen führen werden.“
Zum Start des Tiktok-Kanals am Montag schrieb der Account des Bundeskanzlers Olaf Scholz auf X: „Ich tanze nicht. Versprochen.“ Eine Stunde später aber reagierte darauf der Account des Bundestagsabgeordneten Olaf Scholz: „Mal sehen.“ Zwinkersmiley.