In Rom hat eine Ausstellung mit Werken des Barockmalers Caravaggio eröffnet. Das Museum kann sich vor Besuchern kaum retten. Dabei war der Maler ein Gewalttäter. Egal?
Erst vor wenigen Tagen hat im römischen Palazzo Barberini eine große Caravaggio-Ausstellung eröffnet. Und schon entwickelt sich der Barockmaler zu einem wahren Publikumsmagneten. Schon am vergangenen Wochenende mussten viele Besucher abgewiesen werden. Allein im Vorverkauf schlug die Nationalgalerie rund 60.000 Eintrittskarten los. Caravaggio wird gefeiert wie ein Superstar. Der Barock-Maler ist eine überaus schillernde Figur der Kunstgeschichte. Und „schillernd“ dürfte in seinem Fall ein Euphemismus sein.
Denn Caravaggio war ein notorischer Wüstling. Er war überaus gewalttätig, wurde mehrfach vor Gericht zitiert und sogar wegen Beleidigungen, unerlaubten Waffenbesitzes und schwerer körperlicher Attacken inhaftiert. Kurz: Der Künstler war ein wirklich toxischer Kerl mit einer Zündschnur aus purem Nitroglycerin. Viel von dem, was man über seinen Charakter weiß, stammt aus Polizeiakten. Immer ein eher schlechtes Zeichen.
Caravaggio: Immer auf der Flucht vor dem Teufel in sich
Am 28. Mai 1606 wechselte der Meister der Chiaroscuro schließlich für immer auf die dunkle Seite. An jenem Tag begab er sich auf ein Straßenfest in Rom zum Jahrestag der Papstwahl von Paul V.. Dort geriet er in eine Auseinandersetzung, in deren Verlauf der ehrpusselige Künstler den Sohn des römischen Gefängniskommandanten mit einem Schwerthieb so schwer verletzte, dass dieser kurz darauf verstarb. Caravaggio floh nach Malta. Doch bald übermannte ihn auch dort der Teufel in sich selbst, und nach einer tätlichen Auseinandersetzung musste er wieder die Flucht ergreifen.
Man bekommt den Eindruck, dass das Selbstbild des genialen Schöpfers Caravaggio dazu verleitete, nicht nur im Reich der Kunst alle Regeln zu brechen, sondern auch im realen Leben. Einen Charakterzug, den er durchaus mit anderen toxischen Männern wie P. Diddy, Roman Polanski, Johnny Depp oder Klaus Kinski teilt.
Abgetrennte Köpfe auf Silbertabletts
Doch das alles scheint die Menschen in den Warteschlangen vor dem römischen Museum nicht wirklich zu stören. Und drinnen auch nicht. Dort stehen sie mit offenen Mündern und entsicherten Smartphones vor Caravaggios Meisterwerken. Wie kann ein Maler bloß so genial mit Licht und Schatten umgehen, mögen sich viele fragen.
Nun, wir hätten da eine Arbeitshypothese: Als notorischer Gewaltverbrecher und überaus reizbarer General-Hallodri sollte Mr. Chiaroscuro in seinem bewegten Leben ausreichend Erfahrung mit Licht und Schatten gesammelt haben. Eines jedenfalls steht fest: Niemand kann überzeugender gezückte Messer, tropfendes Blut, schmerzverzerrte Gesichter und abgetrennte Köpfe auf leuchtendem Silbertablett malen. Niemand hat je all den Horror und den Splatter auf seinen Bildern effektvoller ausgeleuchtet.
Die bedingungslose Vergötterung des Malermörders ist schon ein wenig erstaunlich in Zeiten, in denen sich Kulturkritiker das Gehirn zermartern, ob man überhaupt noch irgendeinen Gefallen an den Werken eines P. Diddy, Michael Jackson oder Roman Polanski finden kann. Doch anlässlich des jüngsten Caravaggio-Booms findet sich nirgends ein Wort des Unbehagens an der toxischen Männlichkeit des Malers.
Ist das nun schon der Kollateralschaden von Donald Trumps Kulturkrieg gegen alles, was ihm irgendwie woke vorkommt? Ist das schon die Rückkehr einer unbekümmert ekelhaften Männlichkeit, die Mark Zuckerberg neuerdings fordert? Ist es das Comeback von glücklicherweise beerdigt geglaubten „männlichen Tugenden“, die der Romancier Matthias Politycki eben erst in seinem Buch „Mann gegen Mann“ fordert – offensichtlich unter dem Eindruck der neuerdings generalverordneten Wehrtüchtigkeit. Oder liegt die unbekümmerte Verehrung des Rohlings Caravaggio einfach nur daran, dass der Künstler nun schon seit über 400 Jahren unter der Erde liegt? Aber Mord verjährt nicht, oder?
Caravaggio, P. Diddy und all die anderen toxischen Männer
Natürlich könnte man nun einwenden, dass man einen mausetoten Maler heute schließlich nicht mehr finanziell unterstützt, wenn man sich seine Werke zu Gemüte führt – anders als etwa beim Streaming von P. Diddy oder Kanye West. Aber trotzdem könnte einem die moralische Fragwürdigkeit eines Künstlers dessen Werk schon etwas madig machen. Denn ganz so unproblematisch ist die Trennung von Werk und Leben in der Kunst nun schließlich auch nicht.
Der Kulturkritiker Johannes Franzen, der jüngst ein hochinteressantes Buch über Kunstskandale veröffentlicht hat („Wut und Wertung: Warum wir über Geschmack streiten“, S. Fischer, 432 S.), brachte das Problem gerade erst in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ auf den Punkt.
Dort sagte er: „Als Mann mit akademischem Hintergrund war ich früher natürlich großer Fan Woody Allens und habe mich auch mit den Figuren in den Filmen identifiziert. Ich muss gestehen, dass ich inzwischen große Probleme habe, diese Filme noch anzuschauen. Nicht weil ich das Gefühl habe, ich darf das nicht, oder weil das politisch verwerflich wäre, also deswegen auch. Aber es sind vor allem die Informationen über den Fall, die Bilder, die dabei entstanden sind, die sich vor mein inneres Auge schieben und die jeglichen Kontakt mit der Person und seiner Kunst kontaminieren. Das ist wie kognitive Sabotage, man kann die Filme nicht mehr unschuldig schauen.“
Splatter-Test mit Caravaggio
Und wie sieht’s mit Ihnen aus? Finden Sie, dass sich ein Künstler mit Hilfe von makellosen Meisterwerken von seinem verkommenen Charakter freikaufen kann? Können Sie die Bilder eines Mörders vorbehaltlos genießen? Probieren Sie es aus mit einigen ausgewählten Splatter-Werken des genialen Malermörders Caravaggio.