Stahlteile so hoch wie ein siebenstöckiges Haus: In Ostfriesland sind die Tore für die neue Schleusenkammer am Nord-Ostsee-Kanal fast fertig gebaut – bei dem Transport ist Fingerspitzengefühl gefragt.

Die Ausmaße der wuchtigen, schwarz angestrichenen Ungetüme sind immens. Mehr als 2.000 Tonnen schwer, 47 Meter lang und rund 21 Meter hoch – damit ist jedes der drei neuen Tore für die neue Schleusenkammer am Nord-Ostsee-Kanal im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel so hoch wie ein siebenstöckiges Haus. 

Nach rund sechs Jahren Bauzeit, in denen die drei Schiebetore in Dutzenden vorgefertigten Einzelteilen auf dem Gelände der ehemaligen Nordseewerke im ostfriesischen Emden zusammengebaut wurden, sind die Stahlbauteile nun fast fertig. Auf ferngesteuerten Schwerlastmodulen wurde das letzte der drei Tore Stück für Stück aus der Montagehalle 119 auf eine Freifläche bugsiert.

Bei dem Manöver war Fingerspitzengefühl gefragt: Die hohen Bauten hätten nicht in Schräglage geraten dürfen, erklärte Jörn Eggert, Projektleiter der bauausführenden Arbeitsgemeinschaft in Emden. Die Fahrmodule mit über 130 Achsen sorgten dafür, dass der Koloss unabhängig vom Untergrund in der Waage blieb. „Das muss auch sein, denn bei einer Höhe von 20 Metern dürfen wir uns keine zwei Grad Neigung reinholen. Dann kippt das ganze Ding um.“ Entsprechend langsam schob sich das Bauteil aus der Halle auf seine Position. 

Schleusenkammer soll Ende 2026 fertig sein

Der Anblick der riesigen Bauteile an Land sei eher ungewohnt, sagte Annemarie Brandt, Projektleiterin für den Bau der fünften Schleusenkammer in Brunsbüttel beim Wasserstraßen-Neubauamt Nord-Ostsee-Kanal, die den Transport verfolgte. Denn schließlich seien die Tore später zum Großteil unter Wasser. 

„Für uns ist das hier heute ein wichtiger Meilenstein“, sagte Brandt. Die Fertigstellung der Tore bedeute, dass der Neubau der Schleusenanlage zehn Jahre nach der Vergabe der Bauaufträge langsam auf die Zielgerade einbiege. „Wir gehen derzeit immer noch davon aus, dass wir am 31.12.2026 die Verkehrsfreigabe erreichen können“, sagte Brandt. 

Der Bau der fünften Schleusenkammer dient nach Angaben der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung zur Modernisierung der gesamten Schleusenanlage, die seit mehr als 100 Jahren in Betrieb ist. Der Nord-Ostsee-Kanal gilt als meistbefahrene künstliche Seeschifffahrtsstraße der Welt. 2020 befuhren etwa 25.000 Schiffe den Kanal. „Jeder dritte Container, der durch den Nord-Ostsee-Kanal fährt, kommt im Hamburger Hafen an“, sagte Brandt.

Reservetor wird gleich mitgebaut

Um überhaupt mit einer Sanierung der bestehenden Kammern beginnen zu können, werde die fünfte Schleusenkammer als eine Art Bypass-Lösung gebaut, sagte die Projektleiterin. Das Projekt soll nach Angaben des Neubauamts rund 1,2 Milliarden Euro kosten. 

Für die neue 360 Meter lange, fünfte Schleusenkammer hat die Wasserstraßenverwaltung statt zwei gleich drei Schleusentore in Auftrag geben: Zwei werden in die Kammer eingebaut, das dritte dient als Reservetor – etwa für den Fall, dass ein Tor bei einer Schiffshavarie kaputtgeht, so wie erst vor wenigen Tagen beim Binnentor der großen Nordkammer. 

Die baugleichen Tore sollen zudem als Blaupause für weitere Schleusentore dienen, sagte Brandt. „Der große Plan ist, dass diese bei der großen Schleuse später zum Einsatz kommen.“ Wenn die beiden vorhandenen großen Schleusenkammern in Brunsbüttel saniert werden, sollen ähnliche Schiebetore gebaut werden, die untereinander ausgetauscht werden können. 

„Technik hat sich der Kaiser ausgedacht“

Die Technik zum Schließen und Öffnen der Schiebetore werde auch Schubkarren-Prinzip genannt, sagte Brandt. Demnach gibt es einen Unterwagen, auf dem das Schiebetor aufliegt und einen Oberwagen, der das Tor schiebt. Auf Schienen lassen sich die Tore vor und zurückbewegen. „Das System haben wir uns nicht ausgedacht. Das hat sich schon der Kaiser ausgedacht – und wir bauen das nun nach“, erklärte Brandt. 

Im Freien sollen in den kommenden Wochen auf dem Emder Werftgelände mit einem Kran noch die sogenannten Füllschütze in die Tore eingebaut werden – dafür war die Montagehalle zu klein. Mit diesen Stahlteilen wird laut der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung der Wasserzufluss in der Schleusenkammer reguliert. 

Nach letzten Tests im niederländischen Eemshaven sollen die neuen Schleusentore voraussichtlich ab November 2025 die Baustelle in Brunsbüttel im Kreis Dithmarschen erreichen. Statt auf Rollen geht es dann auf dem Seeweg für die Tore weiter: Schlepper sollen sie über die Nordsee bis zur Elbmündung transportieren.