Für die „Washington Post“ reiste die kongolesische Fotografin Arlette Bashizi nach Äthiopien. Dort traf sie Überlebende des verheerenden Bürgerkrieges: Frauen, die sexuelle Gewalt erlebten und dafür nun sozial geächtet werden.
Im Oktober 2023 beauftragte die renommierte „Washingon Post“ die Fotografin Arlette Bashizi mit einem Auftrag in Äthiopien. Katharine Houreld, Ost-Afrika Korrespondentin der Zeitung, und Bashizi dokumentierten die persönlichen Geschichten von Überlebenden sexueller Gewalt und ihre unglaubliche Widerstandskraft beim Wiederaufbau ihres Lebens. Für zwei Wochen reisten die beiden Frauen nach Tigray, der nördlichsten Provinz in Äthiopien, um mit betroffenen Frauen zu sprechen.
Der Konflikt in der äthiopischen Region Tigray im Jahr 2020 dauerte zwei Jahre und forderte rund 600.000 Todesopfer, während Millionen weiterer Menschen von extremer Hungersnot betroffen waren. Obwohl genaue Zahlen nur schwer zu ermitteln sind, schätzten internationale Studien, dass mehr als 100.000 Frauen im Laufe des Krieges Opfer sexueller Gewalt geworden sein könnten.
Eine 25-Jährige berichtete, dass ihre Eltern ihr die Rückkehr in das Haus der Familie verweigerten und ihre 7-jährige Tochter – das Produkt ihrer Ehe – zurückhielten, nachdem sie einen kleinen Jungen behalten hatte, der von einem ihrer Vergewaltiger gezeugt worden war.
Die Tat, das Trauma, das Stigma
Arlette fotografierte die Frauen anonym, ihre Gesichter sollten nicht zu sehen sein, zu groß sind die Scham und die gesellschaftliche Ausgrenzung. Viele von ihnen wurden schwanger und brachten in den darauffolgenden Monaten die Babys ihrer Vergewaltiger zur Welt. Doch im konservativen Äthiopien werden viele Frauen dann doppelt bestraft. Nicht nur dass sie das Trauma der Tat überwinden müssen, dazu kommt, dass sie oft von ihren Ehemännern verlassen werden, die es nicht akzeptieren, mit einer Frau zusammenzuleben, die das Kind eines anderen zur Welt gebracht hat.
Die 24-jährige Arlette Bashizi ist selbst im Alter der Porträtierten. Sie sagt: „Es war der härteste Auftrag, den man sich vorstellen kann. Wir sprachen mit vielen Opfern von sexualisierter Gewalt und Vergewaltigungen. Frauen waren über Monate als Sexsklavinnen missbraucht worden oder sie wurden in sogenannten Gangbang-Vergewaltigungen immer und immer wieder von größeren Gruppen eritreischen oder äthiopischen Soldaten und Milizen vergewaltigt. Es war wirklich schrecklich.“
Ein besonders berührender Fall war Shila, eine 32-jährige Frau aus der Provinz Tigray, die ihre Geschichte der „Washington Post“-Reporterin Katharine Houreld erzählte. Die Mutter von zwei Kindern führte in der Provinzhauptstadt Mekele einen Friseursalon, als eines Tages eritreische Soldaten die Stadt eroberten. Die Soldaten suchten Shila’s Mann, sie sagte ihnen, dass sie denke, dass er tot sei. Sie glaubten ihr nicht und reichten sie, um „die Wahrheit“ zu erfahren, in verschiedenen Gruppen von Soldaten herum, die sie über drei Monate vergewaltigen. Auch ihre 13-jährige Tocher Mita wurde ein Opfer der Soldaten. Sie wurde schwer misshandelt und hatte später eine Abtreibung.
Auch Shila wurde schwanger brachte einen kleinen Jungen zur Welt. Aber ihre anderen Kinder und ihre Familie wussten nichts von der Tat, da sie nicht darüber sprechen konnte. Zu groß war ihre Angst, von der Familie ausgeschlossen zu werden. Sie hatte allen erzählt, dass sie von ihrem Ehemann schwanger wurde, als der für einen Tag Heimaturlaub hatte.
Doch eines Tages stand der, von ihr schon lange totgeglaubt, wieder vor der Tür. Er wusste, dass sie vergewaltigt wurde, aber nicht, dass daraus ein Kind zur Welt gekommen war.
Arlette Bashizi will weiter an ihrem Projekt zu misshandelten und vergewaltigten Frauen arbeiten. Sie sagt: „Äthiopien ist ja kein Einzelfall, es gibt auch in Ruanda oder dem Kongo solche Taten. Die Wahrheit darüber muss berichtet werden, jemand muss diesen Frauen eine Stimme geben und ihre Geschichten erzählen.“
Sie brachte sich das Fotografieren selbst bei
Arlette Bashizi wuchs in der Stadt Goma in der demokratischen Republik Kongo auf, wo sie auch heute noch lebt. Sie wurde Fotografin weil sie es unbedingt wollte, brachte sich die technischen und journalistischen Fähigkeiten selbst bei. Sie sagt: „Es begann damit, dass ich einen befreundeten Kameramann begleiten durfte. Immer wenn er die Kamera zur Seite machte, wenn er eine Pause machte, dann durfte ich sie nehmen und damit herumexperimentieren.“ Arlette schaute YouTube-Videos und begann, Fotografen über Instagram anzuschreiben. „Ich fragte nach Tipps, Ideen oder möglichen Schulungen. Meistens bekam ich keine Antwort aber einer antwortete – und dass war Finbarr.“
Der Brite Finbarr O’Reilly ist ein mehrfach preisgekrönter Journalist und Fotograf, der ab 2001 in Kinshasa, der Hauptstadt des Kongo lebte. Ab 2004 war er der Cheffotograf für Reuters in Ost-Afrika. 2020 gründete er – während der Corona-Pandemie – zusammen mit der französischen Carmignac Stiftung das sechsmonatige Online Project „Congo in Conversation“. Kongolesische Journalisten und Fotografen, dokumentierten die menschlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen, mit denen der Kongo während der Pandemie konfrontiert war. Bei ihrer Internet-Recherche stieß Arlette auf dieses Projekt, das sie sofort interessierte.
Ein World Press Photo Award für „Survivors“
Finbarr O’Reilly nahm sich der jungen Fotografin an, besuchte sie, als ihn eine Reise nach Goma führte, gab ihr Feedback und sprach mit ihr über die Kunst, eine Geschichte in Bildern zu erzählen. Diese beherrscht Arlette Bashizi inzwischen ausgezeichnet: Ihreindrückliches Projekt „Survivors“ über die Frauen aus Äthiopien wurde jüngst beim World Press Photo Award ausgezeichnet.