Schmutz, Spucke, Urin – eklige Kochvideos haben in Indien eine Welle der Empörung ausgelöst. Die Regierung plant strengere Hygienegesetze, weckt aber Befürchtungen von Muslimen.  

Ein bisschen Spucke im Kaffee, ein paar Popel als Spezialwürze im Essen – man kennt solche unappetitlichen Rachetaten aus Filmen. Was für die meisten nur überspitzte Spinnereien aus der Popkultur seien dürften, sind anderswo tatsächlich Alltag. Zumindest dem Schein nach. Mehrere Videos, die derzeit in sozialen Medien kursieren, zeigen, wie an Indiens Streetfood-Ständen und in Restaurants solche Widerlichkeiten in die Tat umgesetzt werden. Das Entsetzen ist groß. So groß, dass jetzt sogar die Regierung eingreifen will und harte Strafen fordert. Das freut nicht alle, im Gegenteil. Das Vorhaben hat eine Kontroverse im Land entfacht.

Es sind Videos, in denen Männer beim Kochen in einen Topf oder auf Brot spucken sollen und in denen eine Frau Urin ins Essen gemischt haben soll. In welchem Kontext die Videos entstanden sind, bleibt ungeklärt. Für die Politik sind die Aufnahmen ein gefundenes Fressen. Denn bisher wurde die Überwachung der Lebensmittelsicherheit in Indien eher stiefmütterlich behandelt, jetzt rückt sie in den Fokus. Die Regierung in zwei Bundesstaaten kündigte an, saftige Geld- und Haftstrafen für Lebensmittel-Verunreinigungen mit Schmutz, Spucke und Urin verhängen zu wollen. Das Vorhaben könnte eine Wende einläuten, befürchtet wird jedoch eher eine Hetzjagd. Denn gerade in den sozialen Medien wird vor allem eine Minderheit als Übeltäter ausgemacht: Muslime.Asma Khan 20 Uhr

Das Spucke-Gate spaltet Indien

Indien ist ein Land mit vielen Problemen. Niedrige Hygienestandards gehören dazu – das betrifft auch die Gastro-Branche. Unterm Strich verursacht der laxe Umgang mit Lebensmitteln in dem Land schätzungsweise rund 600 Millionen Infektionen und etwa 400.000 Todesfälle, so die indische Behörde für Lebensmittelsicherheit und -standards (FSSAI). Die soziale Ungleichheit ist groß, die Bevölkerung über weite Teile arm. Küchen sind mitunter beengt und schmutzig, das Wasser verunreinigt, die Einhaltung von Kühlketten oftmals schwierig, Lagerpraktiken bedenklich. Dazu kommt, dass Indien nicht nur durch das Kastensystem hierarchisch strukturiert ist, sondern auch unterschiedliche Kulturen und Religionen nebeneinander existieren. Bestimmte Normen und Praktiken im Umgang mit Lebensmitteln werden mitunter dem Glauben zugeschrieben und rufen immer wieder Interreligiöse Missbilligung und Konflikte hervor. So auch jetzt.

Die Videos, in denen die Männer ins Essen spucken, wurden schnell für die politische Agenda von Hindu-Nationalisten missbraucht. In den sozialen Medien kommentierten sie solche auf Film gebannten Vorfälle mit „Thook-Dschihad“ oder auch „Spit-Dschihad“. Ursprünglich wurden die Begriffe von radikalen Hindus für Muslime verwendet, die beschuldigt werden, ihre Frauen zum Islam zu bekehren. Die Verwendung nun ist als eine Ausweitung des Vorwurfs der vermeintlichen „Verunreinigung“ von Hindus durch die Spucke zu verstehen. Auch im Falle der Frau, die Urin ins Essen gemischt haben soll, wurde mit dem Finger auf Muslime gezeigt. Später wurde aufgedeckt, dass es sich nicht um eine Muslima handelt, sondern um eine Anhängerin des Hinduismus. Video Indien

Lebensmittelsicherheit oder doch Hetzjagd?

Als offizieller Grund wird von den zuständigen Regierungen angegeben, dass die strengeren Regelungen für einen hygienischeren Umgang mit Lebensmitteln sorgen sollen. Die jeweiligen Oppositionsführer verstehen die geplanten Neuerungen allerdings als Werkzeug, eine Minderheit zu unterdrücken. Die Vorhaben nutzten „dieVorstellungen der Mehrheit von Reinheit und Verschmutzung aus und nehmen eine bereits verunsicherte Minderheit ins Visier“, kommentierte die Zeitung „Indian Prozess“.  STERN PAID 14_24 Einfach Essen, 19.35

Im Bundesstaat Uttarakhand hat die Regierung angekündigt, dass Hygieneverstöße den Verursacher künftig teuer zu stehen kommen sollen. Geplant sind Geldstrafen in Höhe von bis zu 100.000 Rupien (etwa 1190 Euro). Das entspricht etwa dreieinhalb Durchschnittsmonatsgehälter. Berichten zufolge sind im Bundesstaat Uttar Pradesh sogar Haftstrafen von bis zu zehn Jahren vorgesehen. Außerdem sollen Hotels und Restaurants via Videokameras überwacht werden und Köche und Kellner mit Maske und Handschuhen arbeiten. Geplant ist wohl auch, dass Besitzer von Lebensmittelgeschäften ihre Namen angeben müssen. 

Erste Verhaftungen haben stattgefunden. Drei Männer, die laut Videos in einen Topf oder auf Brot gespuckt haben sollen, wurden festgenommen.

Quellen: The Hindu, BBC, Livemint, The Express Tribune, Times of India