Knapp fünf Wochen sind es noch zur Europawahl. In Maastricht kamen die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der europäischen Parteien zur ersten Debatte zusammen. Sechs Lektionen aus dem Streitgespräch.

Es ging um die Kriege im Gazastreifen und in der Ukraine, die Hamas, Migration, Klimaschutz und künstliche Intelligenz: Am Montag trafen sich in Maastricht die Spitzenkandidaten für die Europawahl, die vom 6. bis zum 9. Juni in den 27 Mitgliedstaaten stattfindet, zur ersten Debatte, die von „Politico Europe“ und „Studio Europa“ veranstaltet wurde.

Mit dabei waren:

Ursula von der Leyen (Europäische Volkspartei)Nicolas Schmit (Partei der Europäischen Sozialisten)Marie-Agnes Strack-Zimmermann (Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa)Bas Eickhout (Europäische Grüne Partei)Anders Vistisen (Partei Identität und Demokratie)Walter Baier (Partei der Europäischen Linken)Maylis Roßberg (Freie Europäische Allianz)Valeriu Ghilețchi (Europäische Christliche Politische Bewegung) 

Alle acht sind Kandidaten für den Posten des Vorsitzenden der Europäischen Kommission. Aktuell hat von der Leyen das Amt inne.YT Debatte

Eineinhalb Stunden lang haben sich die Politikerinnen und Politiker auf der Bühne über die größten Themen zur Europawahl ausgetauscht – und auch leidenschaftlich gestritten. Das sind die sechs wichtigsten Schlüsse aus der Debatte:

Alle dreschen auf die extremen Rechten ein 

Die Spitzenkandidaten waren sich in vielen Dingen nicht einig. Aber als es um die Partei Identität und Demokratie (ID) ging, dann schon – insbesondere beim Thema Außen- und Sicherheitspolitik. Vistisen warf den etablierten Parteien vor, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auszunutzen, um EU-Verträge zu ändern und das Vetorecht abzuschaffen. Bas Eickhout von den Grünen konterte, dass der dänische Rechtspopulist sich daran erinnern sollte, dass auch Russland und China Einfluss auf die extremen Rechten im Europaparlament nehmen. „Vielleicht räumst du dein eigenes Haus auf, bevor du den Lehrer spielst!“ Tosender Applaus aus dem Saal für diese Aussage.

Auch von der Leyen griff den Rechtspopulisten an. Sie sagte, dass der AfD-Europa-Spitzenkandidat Maximilian Krah und der AfD-Bundestagsabgeordnete Petr Bystron mit Russland verbunden sind. „Wenn Sie sich das Wahlprogramm (der AfD, Mitgliedspartei der ID) ansehen, werden Sie feststellen, dass es die Lügen und die Propaganda des Kremls widerspiegelt. Also räum bei dir selbst auf, bevor Du uns kritisierst!“ Vistisen versuchte sich rauszureden, was das Publikum mit Buhrufen quittierte.Stern PAID: interview mit dem China-Experten Grzegorz Stec 06.11

Von der Leyen offen für eine Zusammenarbeit mit Rechtskonservativen

Von der extrem rechten ID distanziert sie sich, mit der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) könnte sich die CDU-Politikerin aber eine Kooperation durchaus vorstellen. „Es hängt sehr stark davon ab, wie sich das Parlament zusammensetzt und wer in welcher Fraktion sitzt“, sagte von der Leyen. In der EKR sind zum Beispiel die Partei des rechtsextremen französischen Politikers Eric Zemmour und die rechtsextreme spanische Partei Vox. Auch die ultrarechte Partei der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni, die Fratelli d’Italia, sowie die nationalkonservative polnische Ex-Regierungspartei PiS gehören dieser Fraktion an.

Von der Leyen machte aber klar, dass sie nicht mit „Putins Stellvertretern“ zusammenarbeiten werde. Diese versuchten, die EU von innen heraus durch Desinformation und Polarisierung zu „zerstören“.

Das Publikum will nicht von der Leyen als Kommissionspräsidentin

Die großen repräsentativen Umfragen deuten auf einen Sieg der EVP hin, der Von-der-Leyen-Partei. Fragt man aber die Zuschauerinnen und Zuschauer der Runde, wer EU-Kommissionspräsident werden sollte, wird die ehemalige Verteidigungsministerin auf den zweiten Platz verwiesen. In einer Live-Umfrage am Montagabend, die vor dem Startschuss zur Debatte gezeigt wurde, kam von der Leyen auf rund ein Viertel der Stimmen aus dem Publikum. Ein Drittel wollte den Grünen Bas Eickhout als EU-Kommissionspräsident. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann kam auf den dritten Platz. Nach der Debatte hat sich nicht viel geändert: Eickhout konnte sogar auf rund 45 Prozent aufholen, von der Leyen auf mehr als 30 Prozent. Strack-Zimmermann landete mit nur vier Prozent auf dem fünften Platz; ihren dritten Platz zu Beginn hatte der Linke Baier ergattert. Allerdings: Es war keine repräsentative Umfrage.Kriege in Europa 14.54

Beim Klima wollen alle (mehr oder weniger) in die gleiche Richtung – aber auf verschiedenen Wegen 

Die EU will bis 2050 klimaneutral sein. Von der Leyen hatte dafür 2019 den Green Deal vorgestellt und verteidigte ihn jetzt. „Der europäische Green Deal ist die Lösung für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft“, sagte sie. Wenn man etwa die Energiepreise senken wolle, müsse man in erneuerbare Energien investieren. Der Plan sei da, man müsse ihn nur umsetzen. Ähnlich äußerte sich Eickhout, der mehr Investitionen forderte. Mehrere der Kandidaten, darunter Strack-Zimmermann, Eickhout und von der Leyen, betonten zudem die Bedeutung der Landwirtschaft als Akteur beim Klimaschutz. Angriffslustig: Anders Vistisen
© Marcel van Hoorn / ANP

Walter Baier von den Linken will, dass die EU noch schneller klimaneutral wird – und dafür die Reichen stärker zur Kasse bitten. „Ein Prozent der Bevölkerung sind für 50 Prozent der Verschmutzung verantwortlich“, kritisierte er. Dieses eine Prozent müsse verantwortlich gehalten werden. „Besteuert die Reichen!“, ist sein Mantra. Der Sozialdemokrat Schmit mahnte, dass das Klima und dessen Wandel „keine Pause“ einlegten. Es müsse mehr in neue Technologien investiert werden und eine sozial gerechte Klimapolitik. ID-Politiker Vistisen will, dass es mehr Innovationen und marktgerechte Modelle gibt, keine Subventionen. Christdemokrat Valeriu Ghilețchi sagte, dass man bei der Klimapolitik aufpassen müsse, weil sie auch für Menschen Konsequenzen habe. 

Beim Thema Krieg zerfasern sich die Kandidaten

Man fragt sich, welcher Krieg den Spitzenkandidaten wichtiger ist. Die europäischen Linken wollen, dass Moskau und Kiew Friedensverhandlungen beginnen. Ob die Ukraine Gebiete an Russland abtreten solle, wollte eine der beiden Moderatorinnen daher von Baier wissen. Der verurteilte den russischen Krieg zwar, forderte aber eine „politische Lösung“ und keine militärische. Dann wechselte er schnell zum Krieg im Gazastreifen. „Wann sanktionieren Sie Israel?“, fragte er in Richtung von der Leyen, was für viel Applaus sorgte. Dem Nachhaken der Moderatorin wich er erneut aus. Von der Leyen ließ sich zunächst nicht beirren. „Ich habe es satt, das zu hören. Wenn man diesen Krieg beenden will, muss Putin einfach aufhören zu kämpfen. Dann ist der Krieg vorbei!“ Auch das wurde beklatscht.

Wieder Kriegswechsel, von der Leyen betont das Selbstverteidigungsrecht Israels. Gleichzeitig forderte sie einen Waffenstillstand, die Befreiung der israelischen Geiseln sowie Hilfe für die Menschen in Gaza. Eine Platte, die schon länger spielt. Eickhout wollte daher wissen, ob eine israelische Invasion in Rafah eine rote Linie sei. „Ich ziehe nie rote Linien, aber ich denke, es wäre völlig inakzeptabel, wenn Netanjahu in Rafah einmarschieren würde“, war die Antwort der EVP-Kandidatin. Auf die Nachfrage, was das bedeute, blaffte von der Leyen schmallippig: „Dann setzen wir uns mit den Mitgliedstaaten zusammen und handeln dementsprechend.“ 

Als der Däne Vistisen die Debatte auf den wachsenden Antisemitismus als Folge des Krieges im Nahen Osten lenkte, mischte sich Baier erneut ein. „Lächerlich“ sei es, dass ein Politiker der extremen Rechten sich gegen Judenfeindlichkeit einsetze – und kritisierte dann wieder Israel für seine Handlungen im Gazastreifen. Um die Ukraine ging es dann schon längst nicht mehr. Stattdessen schoben sich alle gegenseitig den Schwarzen Peter zu.Ursula von der Leyen glänzte nicht nur mit ihrem Kostüm bei der Diskussionsrunde
© Marcel Van Hoorn/ANP

Von der Leyen und Eickhout stark, Vistisen blamiert sich, der Rest: Schnarch 

Nach 90 Minuten gingen die jetzige Kommissionspräsidentin und ihr grüner Gegenkandidat als Sieger der Debatte hervor. Von der Leyen war überzeugend, zeigte sich eloquent, souverän und seriös, in manchen Momenten auch bissig. Ähnlich sah es bei Eickhout aus, der vom Publikum viel Applaus erhielt. Der Kandidat der Partei Identität und Demokratie, Vistisen, war zwar angriffslustig, aber wirkte ebenso unbeholfen, plump und in die Ecke gedrängt. Er reagierte oft eingeschnappt, wenn er kritisiert wurde, und versuchte sich mit teils kruden Aussagen und mit Verweisen auf sein Heimatland Dänemark zu verteidigen. 

Die anderen Kandidaten, darunter auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann, waren in der Debatte hingegen blass. Insbesondere die FDP-Politikerin wirkte eher steif und nicht so sprachgewandt und krawallig, wie man es sonst von ihr kennt. Die Aussagen der restlichen Kandidaten waren zudem erwartbar und wie aus dem Parteiprogramm rezitiert. Überzeugend war das nicht.

Quellen: Nachrichtenagenturen AFP und DPA, Maastricht Debate 2024, „Politico“, Euronews