Jürgen Bartsch ging als „Kirmesmörder“ in die Geschichte ein. Er tötete vier Jungen im Alter zwischen 11 und 13 Jahren. Um seine sadistischen Sexualtriebe zu unterdrücken, sollte er kastriert werden. Doch dem Arzt unterlief während der Operation ein folgenschwerer Fehler.

Jürgen Bartsch ist 29 Jahre alt, als er sich an jenem 28. April 1976 im Landeskrankenhaus Eickelborn im westfälischen Lippstadt einer Operation unterziehen will. Er möchte kastriert werden. Freiwillig. Oder auch nicht. Denn zuvor hatte er dies strikt abgelehnt. Immer noch wird er von Mordfantasien geplagt. Drei Jahre zuvor hatten sein Anwalt und er deshalb eine Gehirnoperation angestrebt, doch die Ärzte des Uniklinikums des Saarlandes erklärten das für unmöglich. Er hat große Angst vor dem Eingriff. Doch er weiß auch, dass es seine einzige Möglichkeit ist, einem lebenslangen Aufenthalt in einer Psychiatrie zu entgehen.

Jürgen Bartsch kommt am 6. November 1946 als Karl-Heinz Sadrozinski in Essen zur Welt. Seine Mutter lässt das Baby in der Klinik zurück. Sie stirbt kurz darauf an Tuberkulose. Nach gut einem Jahr wird er von Getrud und Gerhard Bartsch aufgenommen, einem wohlhabenden Ehepaar mit eigener Metzgerei. Gertrud kann nach einer Totaloperation selbst keine Kinder mehr bekommen. Sie geben ihm den Namen Jürgen. Doch sie vernachlässigen das Kind. Ein ehemaliger Nachbar erinnert sich später: „Ich behaupte, dass sie nie die Liebe zum Kind erbringen konnte, wie es eigentlich hätte sein müsste.“ Den gleichen Eindruck hatte auch eine Nachbarin: „Frau Bartsch hatte sehr wenig Zeit für ihren Jungen. Nach dem Essen hat sie ihn immer gleich auf sein Zimmer geschickt. Er wäre lieber unten bei seiner Mutter geblieben (…) ich meine, es hat bei ihm an Liebe gefehlt.“ 

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Auch Jürgen Bartsch gibt zu Protokoll, dass sich seine Eltern nie mit ihm beschäftig hätten. Seinen Vater, der von morgens früh bis abends spät ununterbrochen in der Wurstküche arbeitete, habe er oft tagelang nicht gesehen. Seine Mutter habe nur geputzt. Und wenn er im Weg stand, habe sie ihn geschlagen. Der Nachbar bezeichnet Frau Bartsch als „hysterisch sauber“. Weil sie nicht will, dass ihr Kind sich schmutzig macht, darf er nicht mit anderen Kindern draußen spielen. Jürgen Bartsch verbringt die Tage alleine in seinem Zimmer mit vergitterten Fenstern vor dem Radio und kaum Tageslicht. Am liebsten hört er Freddy Quinn. „Ich habe immer Genuss dran gefunden, mir traurige Schlagerlieder anzuhören – wahrscheinlich weil ich alleine war und niemanden hatte“, erzählt er damals einem Reporter. Oft habe er dabei geheult.

Mit zehn Jahren kommt Jürgen Bartsch ins Heim

Die häusliche Isolation macht ihn auch in der Schule zum Außenseiter. Nahezu täglich hagelt es Prügel: „Ich war damals wirklich der Schwächste und der Kleinste. (…) wenn sie gemeint haben, ich hätte in der Schule noch nicht genug Prügel gekriegt, haben sie nach der Schule auf mich gewartet“. In seinen Gedanken machen sich Rachefantasien breit. „Es gab viele Kinder, die ich hätte zerfleischen können, wenn ich nur den Mut dazu gehabt hätte. Aber ich war nicht fähig, denen mal ein paar vors Gesicht zu geben“, so Bartsch. In der Schule hätte er sich schlagen und quälen lassen, aber in seiner Fantasie auf dem Nachhauseweg habe er sich ausgemalt wie es wäre, wenn er groß und stark wäre und er jemandem „vor die Mappe“ gegeben hätte. Jeden Tag habe er eine „furchtbare Wut“ im Bauch gehabt. 

Damals habe er angefangen, die Schule zu schwänzen und seiner Oma kleine Geldbeträge wegzunehmen. Die habe er dann größeren Jungs gegeben, damit sie ihn beschützen. Als er zehn Jahre alt ist, geben ihn seine Adoptiveltern in ein Heim nach Rheinbach. Endlich hat er Spielkameraden und bekommt die nötige Aufmerksamkeit. Er bezeichnet den Aufenthalt mit den insgesamt rund 20 bis 30 Heimkindern als „himmlisch“. „Wir Kinder sind wie Menschen behandelt worden. Weitaus menschlicher als zu Hause“, erzählt er. Endlich darf er mit anderen Kindern spielen und sich dreckig machen. Doch der Mutter geht es im Heim nicht streng genug zu und sie verlegt ihn zwei Jahre später, am 14. Oktober 1958, ins katholische Knabeninternat der Salesianer Don Boscos im Kloster Marienhausen in Rüdesheim am Rhein. Jetzt muss er sich das Heim mit rund 300 anderen Kindern teilen, darunter schwer Schwererziehbare. Es herrscht eine strenge, militärische Atmosphäre – und die meiste Zeit des Tages Stillschweigen. 

Jürgen Bartsch als Kind in der Metzgerei seiner Pflegeeltern
© dpa/

Zwischen 6 Uhr und 6.30 Uhr beginnen die Jungen ihren straff organisierten Tag. In einer Doppelreihe müssen sie sich aufstellen. Noch vor der Schule geht es in die Messe. Alles im Stillschweigen. Erst nach der großen Pause gegen 10 Uhr dürfen die Schüler miteinander sprechen. Freundschaften der Jungen untereinander werden nicht gerne gesehen und unterbunden. Regelmäßige Schläge stehen an der Tagesordnung. „Wessen Schuhe am Abend nicht blitzeblank waren, der bekam es mit dem Besenstiel zu tun“, erinnert sich ein ehemaliger Schüler. „Es gab keine Kommunikation – Radio, Fernsehen, Zeitung – alles das gab es überhaupt nicht.“

Sein Lieblingsort: Ein alter Luftschutzbunker

Eines Tages wird Jürgen Bartsch in einem Zeltlager krank. Weil er Fieber hat, wird er in das Gebäude des Pastors gebracht. Dort kommt es laut Bartsch zu einem sexuellen Übergriff. Auch fünf weitere Jungen beschuldigen den Pastor, doch ein gegen ihn eingeleitetes Ermittlungsverfahren wird eingestellt. Jürgen Bartsch will „nur noch weg“. Als er eines Tages ausreißt, bringen ihn die Eltern wieder zurück. Beim zweiten Mal tritt er seine Flucht mit einem weiteren Heimkind an. Eigenen Angaben zufolge kommen ihm da das erste Mal böse Gedanken. Er will den Jungen unter einen Zug werfen, damit er „sich nicht mehr bewegen und er ihn ganz nackt ausziehen“ könne. Die Polizei greift die beiden später auf. Bartsch muss die Schule in der Nähe seines Elternhauses in Essen beenden. 

Sein Lieblingsort ist ein nahegelegener Luftschutzbunker in Velbert-Langenberg. Mehrfach lockt er kleine Jungen dorthin, zieht sie gewaltsam aus und „spielt an ihnen herum“. „Die ersten Kinder habe ich nur geschlagen, angefasst und ausgezogen“, sagt er. Doch sein Sexualtrieb ist von sadistischer Natur. Immer häufiger wendet er bei anderen Kindern Gewalt an, er quält und misshandelt sie. „Sie haben Angst und schreien. Das ist sehr wichtig. Ohne das hätte mir das alles überhaupt nicht im Geringsten etwas gesagt. Sie müssen betteln, wimmern, um Gnade bitten“, sagt er. Wenn er mit ihnen fertig ist, gibt er ihnen Geld oder bedroht sie, damit sie den Mund halten. „Erst später, als das Töten dazu kam, da war ziemlich sofort auch das Zerschneiden dabei“.

Im Frühjahr 1961 beendet er die Schule. Sein Vater drängt ihn zu einer Schlachter-Lehre. Doch das Leid der Kälbchen setzt ihm zu, wie er sagt. Genau wie die Distanziertheit seines Vaters. „Ich war immer froh, wenn ich fertig war“, sagt er.  Auch das Verhältnis zu seiner Mutter beschreibt er als „nie so besonders glücklich“. Wenn er als Kind von ihr träumte, habe sie ihn „verkauft“ oder sei „mit einem Messer auf ihn losgegangen“. Dies sei eines Tages auch passiert. Als er den Laden nicht zu ihrer Zufriedenheit sauber gemacht habe, soll sie ein Messer nach ihm geworfen haben und ihn als „Stück Scheiße“ beschimpft haben. 

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„Er durfte nur das machen, was die Eltern sagten. Selbständig durfte er gar nicht sein“, erinnert sich eine ehemalige Mitarbeiterin der Bartschs. Bis zum Erwachsenenalter wird er von seiner Mutter gebadet, auch seine Kleidung legte sie ihm raus. Freunde hat er keine. Einmal verliebt er sich als 15-Jähriger in einen Zwölfjährigen. Sie verbringen ihre Freizeit zusammen. „Wie eine Klette“ habe er an ihm gehangen und ihm aus Eifersucht die „wildesten Szenen“ gemacht, sagt Jürgen Bartsch über diese Zeit. Das sei auf die Dauer „für den armen Jungen nicht auszuhalten gewesen“. An einem Jungen, der in der Fleischerei des Vaters eine dreijährige Ausbildung machte, vergeht er sich eines Tages. „Ich hab ihm einfach die Hosen runtergezogen und bei ihm onaniert“. Weil er hinterher „ganz groß den Empörten“ gespielt habe und gedroht habe, es seinem Vater zu erzählen, habe er ihn „beschwätzt“ und ihm fünf Mark geboten, damit er den Mund hält. „Er hatte immer Geld gehabt“, erinnert sich das Opfer.  

Es sei ein Zwang gewesen. „Das Gefühl, du musst es tun. Auf lange Sicht kannst du es nicht sein lassen.“ Es ist nicht so, dass man denkt, jetzt hast du nichts zu tun und gehst mal eben um die Ecke und bringst einen Menschen um. So einfach ist das ja nicht.“ 

Im März 1962 begeht Jürgen Bartsch seinen ersten Mord

Am 31. März 1962 spricht er auf der Kirmes einen Achtjährigen an. Er verschleppt ihn in den Bunker und erschlägt ihn dort. Da ist Bartsch gerade mal 15 Jahre alt. Nach der Tat plagen ihn Gewissensbisse. „Ich hab mich ehrlich bemüht, davon loszukommen“, sagt er. Jeden Abend habe er dafür gebetet. Er beichtet die Tat einem Pastor. Der will, dass er sich der Polizei stellt. Doch Bartsch lehnt ab. Und geht stattdessen auf der Suche nach neuen Opfern. „Ich war jede Woche auf Tour. In Essen, in Velbert, in Neviges, Castrop-Rauxel, Bochum, also in der engeren Ruhrgebiets-Gegend und Bergisches Land.“

Am 6. August 1965 nimmt er in Essen einen 13-Jährigen in seinem Wagen auf. Dieser hatte sich im Zug verfahren und wusste nicht, wohin. Bartsch verfolgt ihn eine Weile, bis er ihn anspricht und ihm anbietet, ihn in seinem Wagen mitzunehmen. In einem Waldstück zwingt er den 13-Jährigen, sich nackt auszuziehen. Dann nimmt er ihn mit in die Höhle, wo er ihn umbringt.

Ein Polizist steht im Eingang zur Höhle, in die Jürgen Bartsch die Kinder lockte

Eine Woche später spricht er auf der Kirmes in Velbert sein nächstes Opfer an. Nachdem die Jungen eine Weile gemeinsam über den Jahrmarkt gestreift sind, überredet auch er ihn, in sein Auto einzusteigen. Auf einem Feldweg hält er an. Als er den Jungen zwingt, sich auszuziehen, ruft der nur: „Ich hab’s ja geahnt“. Verzweifelt versucht er, aus dem Auto zu fliehen. Weil aber das Schloss falsch herum eingesetzt ist, geht der Türgriff nach oben auf und nicht nach unten. „Ich habe ihn ausgezogen und gefesselt und einen schweren Hammer genommen und habe ihm damit auf den Kopf geschlagen“, erklärt Bartsch im Verhör. Auch diesen Jungen bringt er in seine Höhle. 

Nur eine Woche später, am 14. August 1965, tötet er einen Zwölfjährigen, den er ebenfalls von einer nahegelegenen Kirmes zum Stollen in Langenberg bringt. Jürgen Bartsch erschlägt ihn mit einem Steinbrocken. Sein letztes Opfer, einen elfjährigen Jungen, erwürgt er im Stollen am 6. April 1966. Auch ihn sprach er vorher auf einer Kirmes an.

Ein 14-Jähriger kann ihm entkommen

Unendliches Glück hat indes ein 14-Jähriger aus Wuppertal, der am 18. Juni 1966 das nächste Opfer von Jürgen Bartsch werden soll. In einer TV-Doku erinnert er sich an die traumatischen Stunden. Bartsch hätte ihm 50 Mark geboten, wenn er mit in die Höhle nach Langenberg geht, wo er ihm angeblich einen Schatz zeigen wollte. „Als wir in die Höhle reinkamen, kam mir ein komischer Geruch entgegen. „Das sind noch Leichen vom Krieg“, erklärt Bartsch auf Nachfrage. Dann sei er aufgefordert worden, sich auszuziehen. Als er nur die Jacke ablegte und sich weigerte, noch mehr Kleidung abzulegen, habe Bartsch auf ihn eingeprügelt und ihm das Hemd vom Leib gerissen. Nachdem er ihn nackt ausgezogen und gefesselt hatte, meinte Bartsch, er müsse nach Hause zum Abendessen. Dem Jungen gelingt es, sich von den Fußfesseln zu befreien. Mit auf den Rücken zusammengebundenen Händen streift er sich wenigstens noch die Unterhose über, bevor er aus dem Bunker raus und zu den nahegelegenen Häusern flieht. Ein Anwohner alarmiert die Polizei.

Jürgen Bartsch beim Prozessauftakt vor dem Wuppertaler Landgericht am 27. November 1967

In der Nacht zum 21. Juni 1966 holen die Beamten die Teile von drei Leichen aus der Höhle. Am nächsten Tag kommen aufgrund der Pressemitteilung der Polizei zwei Hinweise auf den Metzgergesellen Bartsch, der jedoch die Anschuldigungen bestreitet. Als ihm die Polizei von den drei Leichen berichtet, schwenkt er plötzlich um. „Das Umschwenken kam sehr schnell“, erinnert sich der damalige Mordermittler. „Und er erklärte nunmehr, dass er tatsächlich vier Kinder getötet habe.“ „Ich war so erschüttert, als ich das gehört habe. So leid tat es mir“, resümiert die ehemalige Laden-Angestellte. Der Stollen wird nach den schrecklichen Taten zugeschüttet. 

Der Prozess gegen Jürgen Bartsch beginnt am 27. November 1967 vor dem Landgericht Wuppertal. Sein Verteidiger erinnert sich, wie er mit Jürgens Eltern in die Justizvollzugsanstalt Wuppertal kommt. Die Mutter soll bei der Begegnung damals bitterlich geweint haben. „Sag mal Jürgen, das kann doch nicht wahr sein. Jürgen seien auch die Tränen gekommen. „Doch Mutter, es ist wahr.“ Die Mithäftlinge machen ihm das Leben dort schwer. Bei seinem Freigang versuchen sie, mit gefüllten Wassergläsern von ihren Zellen aus seinen Kopf zu treffen, wie er erzählt. Auch sein Verteidiger bekommt Morddrohungen. 

PAID CRIME 35 Zwei Opfer unter vielen 19:45

Am 15. Dezember 1967 fällt das Urteil gegen den damals 21-jährigen Jürgen Bartsch. Obwohl er bei seinen ersten Taten erst 15 Jahre alt war, wird das Erwachsenenstrafrecht angewendet: „Er wird zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt, ihm werden die bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit aberkannt“, heißt es.

Die Revisionsbegründung übernimmt der bekannte Strafverteidiger Rolf Bossi aus München. Das Urteil wird daraufhin aufgehoben. Das Bundesgericht erkennt, dass Bartsch von einem Sexualwissenschaftler hätte untersucht werden müssen. Er erhält daraufhin einen neuen Prozess. Diesmal werden vom Gericht acht psychiatrische und psychologische Gutachter hinzugezogen, darunter der Frankfurter Psychoanalytiker Tobias Brocher und der Psychiater Wilfried Rasch. 

Der vermutet, dass die Eltern sich Jürgen Bartsch aus dem Heim geholt haben, um „das Bild einer perfekten Familie zu komplementieren“, auch, wenn sie nicht wirklich etwas mit einem Kind anfangen konnten. „Für mich unverständlich war die unnötige Weggabe ins Heim“. Brocher vermutet, dass das Internat der aufkommenden Sexualität des pubertierenden Sohnes Einhalt gebieten sollte. „Dass Unglückliche ist, dass dort noch mehr antisexuelle Stimmung herrscht (…), was natürlich die Neugier erst einmal mobilisiert.“ Er ist überzeugt: „Die Taten waren eigentlich ein Abbild dessen, was innerlich in seiner Entwicklung vorher in seiner Kindheit und seiner ganzen Entwicklung geschehen ist.“ 

Der Bunker, in dem Jürgen Bartsch die Kinder getötete hatte, wurde später zugeschüttet

Die Untersuchungen von Bartsch ergeben zudem eine nachweisliche Hirnschädigung. Diese habe ihn zwar nicht zum Mörder gemacht, könnte jedoch möglicherweise dazu beigetragen haben, dass er ein „beeindruckbares, verletzbares Kind gewesen ist und für alles stärker empfänglich“, so Rasch. Der einjährige Klinikaufenthalt als Neugeborenes mit wechselnder Betreuung hätte zudem die Basis gelegt zu seiner mangelhaften emotionalen Entwicklung. Auch der Aufenthalt im strengen Heim und die Isolierung durch das Elternhaus hätte zudem zu einem Außenseitertum mit Rachefantasien geführt. 

Bartsch sei einerseits übermäßig angepasst gewesen: ein braver, freundlicher und folgsamer Junge. Die anderen Teile seiner Persönlichkeit hätten sich abgespalten – die Rache, der Hass, die ganzen Fantasien der Machtlosigkeit und das Gefühl, hilflos zu sein. Diese Aggressionen habe er dann an Schwächeren ausgelassen.

Gutachter bescheinigen ihm eine Perversion

Die Gutachter kommen zu dem Ergebnis, dass bei Bartsch eine Perversion vorliegt, eine bestimmte Persönlichkeitsentwicklung, in deren Verlauf der Mensch so deformiert wird, dass seine Schuldfähigkeit eingeschränkt wird. Das bedeutet allerdings auch, dass man Rückfallgefahr anzunehmen hatte. Das neue Urteil fällt am 6. April 1971 und lautet nun auf zehn Jahre Jugendstrafe und anschließende Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. 

Am 15. November 1972 kommt Bartsch in das Landeskrankenhaus Eickelborn, wo er 1974 eine Schwesternhelferin heiratet. Weil sich kein Psychoanalytiker findet, um Bartsch zu therapieren, erwägen die Ärzte eine so genannte stereotaktische Operation. Dabei soll ein ganz kleiner Hirnbezirk ausgeschaltet werden, damit er keine entsprechenden sexuellen Regungen mehr hat. Doch niemand will den Eingriff durchführen. Bartsch selbst weiß, dass er noch immer eine Gefahr darstellt, weil sein Sexualtrieb nicht abklingen will. „Ich muß leider bejahen, dass mein Drang noch immer vorhanden ist (…) Ich bin nicht fähig, zu sagen: ‚Trieb, go home!‘ Weil ich es nicht will? Nein, weil ich es nicht kann. Ohne ärztliche Behandlung wird der Trieb nicht verschwinden“, schreibt er in einem Brief. Schließlich stimmt er einer Kastration zu. 

Als er an jenem Mittwoch im April 1976 auf dem OP-Tisch liegt, macht der behandelnde Arzt einen folgenschweren Fehler. Er verabreicht Bartsch eine zu hohe Dosis des Narkosemittels. Der „Kirmesmörder“, wie ihn die Presse nannte, stirbt im Alter von 29 Jahren. Sein Vater fährt mit seinem Sarg quer durch das Ruhrgebiet. Aber niemand will seinen Sohn bestatten. Schließlich wird er eingeäschert und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion anonym in Essen beerdigt. 

Quellen: „Nachruf einer Bestie“, „Die Lust am Töten: Jürgen Barsch“, Paul Moor: Das Selbstporträt des Jürgen Bartsch