Wie geht es mit Neom weiter? Vor einer Woche veröffentlichte „Bloomberg“ einen Bericht, in dem von Problemen beim Bau der Bandstadt „The Line“ die Rede ist. Nun flogen die Bauherren mehr als 100 Baufirmen ein, um der Welt das Gegenteil zu beweisen.
Schaffen sie’s oder schaffen sie’s nicht? Das ist bei dem gigantischen Bauprojekt Neom und der Bandstadt „The Line“, einer 170 Kilometer langen Metropole inmitten der Wüste, die Frage. Nach der Ankündigung des Vorhabens gab es immer wieder Einblicke in den Stand der Bauarbeiten. Hunderte Bagger und Lastwagen säumten die Wüste und gruben, was das Zeug hielt. Damit wollten Saudi-Arabien und Kronprinz Mohammed bin Salman der Welt zeigen: „Seht her, wir machen das wirklich.“
Trotz großer Kritik an Neom und den damit verbundenen Projekten ließ sich der Herrscher offenbar nicht davon abbringen, sich selbst ein Denkmal zu setzen. Bis Anfang April. Denn ein Bericht des Wirtschaftsmagazins „Bloomberg“ schilderte mit Bezug auf anonyme Quellen, dass die gesetzten Ziele wohl zu ambitioniert seien (hier erfahren Sie mehr). Das sollte sich demnach schon am ersten Bauabschnitt der Bandstadt bemerkbar machen, denn es hieß, dass der Wohnraum in „The Line“ bis 2030 nicht für die geplanten 1,5 Millionen Menschen reiche, sondern man „nur“ noch mit 300.000 Einwohnern plane.
In Neom soll nun die „arbeitsreichste Bauphase“ beginnen
Nun kontert Saudi-Arabien: In einer aktuellen Pressemitteilung lassen die Bauherren wissen, dass man in die „arbeitsreichste Bauphase eintreten“ werde. Die ohnehin gigantische Menge an Arbeitskräften werde man daher weiter aufstocken, heißt es. An den laufenden Bauarbeiten seien aktuell bereits mehr als 140.000 Menschen beteiligt – und schon in einem Jahr wolle man diese Zahl auf über 200.000 erhöhen. Zum Vergleich: Das entspricht ungefähr der Einwohnerzahl von Erfurt.
Um diese nur schwer vorstellbare Anzahl fähiger Arbeitskräfte zu erreichen, ließ das Land kürzlich über 100 weltweit führende Bauunternehmen einfliegen und gab einen zweitägigen Überblick über die Projekte. Neom bedient sich dabei in der ganzen Welt und wählte sowohl Firmen mit Sitz in Saudi-Arabien als auch in Asien, Europa, Nordamerika und Nordafrika.
Genug Geld ist wohl für alle da: Es heißt, Saudi-Arabien wolle bis zu 1,5 Billionen US-Dollar in die Hand nehmen, um die zahlreichen Neom-Projekte in die Tat umzusetzen. Das Land will Neom zu einem großen Teil auch als Ablöse für das derzeit noch immer florierende Ölgeschäft einsetzen, wenn die Quellen eines Tages nicht mehr liefern, was das Land für den Erhalt seines Wohlstands benötigt. Daher besteht ein Großteil der Bauten aus Resorts und Anlagen für Freizeitaktivitäten reicher Touristen.
Viel Kritik, seltsame Vorgänge, drakonische Strafen
Kritik an Neom gibt es zuhauf. So müssen für das Projekt beispielsweise rund 20.000 Beduinen ihr Land verlassen. Wer sich weigert, wird drakonisch bestraft. Es gibt zahlreiche Berichte über Verhaftungen, jahrzehntelange Haftstrafen, Todesurteile und Erschießungen. So wurde etwa der Aktivist Abdulrahim al-Howeiti nach einer kritischen Videobotschaft von Truppen der Regierung getötet.
Auch unter den beteiligten Bauunternehmen gibt es Berichte über Einschüchterungen und Diskriminierung. Vor dem Hintergrund, dass nun zahlreiche neue Vertragspartner gesucht werden, eine komplizierte Verhandlungsposition.
Ebenfalls merkwürdig ist das Anwerben neuer Auftragnehmer nach dem „Bloomberg“-Bericht deshalb, weil darin die Rede von mindestens einem Unternehmen ist, das aufgrund der mutmaßlich geänderten Baugeschwindigkeit mit Entlassungen begonnen haben soll. Wenn es um reine Manpower ginge, ergäbe das keinen Sinn.