Als Spice Girl wurde sie berühmt, als Fußballer-Gattin berüchtigt. Mit 50 ist die einstige Nullerjahre-Trash-Queen Victoria Beckham auf dem Höhepunkt ihrer Karriere – als modische wie popkulturelle Kult-Persönlichkeit.
Die Zahl 50 wird nie ausgesprochen. In einem kürzlich veröffentlichten „Vogue“-Videointerview mit Victoria Beckham ist von „vielen Kerzen auf der Torte“ die Rede, von der Aussicht auf ein Leben als Großmutter und von persönlichen „Geheimnissen“ beim Älterwerden: „Arbeite hart, habe Spaß und genieße die Reise.“ Dass Posh Spice am 17. April 2024 50 Jahre alt wird, das wird so nicht genau gesagt. Vielleicht, weil Victoria Beckham das vorab als Regel für dieses Interview bestimmt hat – sie wirkt nicht wie jemand, der gern über Geburtstage spricht. Vielleicht aber auch, weil niemand, der mit den Spice Girls erwachsen geworden ist, glauben kann und will, dass Posh Spice tatsächlich schon ein halbes Jahrhundert lang auf High Heels durchs Leben stöckelt.
Dabei hat Victoria Beckham schon so viele unterschiedliche persönliche Ären durchlaufen, dass es für zwei, wenn nicht drei Leben reichen würde. Legende der 90er-Popkultur. Modeikone der Nullerjahre-Low-Rise-Jeans-Ära. Ur-Mutter aller Fußballer-Gattinnen. Designerin mit mühsam erkämpftem Renommé in der High-Fashion-Szene. Neuerdings Social-Media-Liebling der Generation Z, die alte Video-Clips ausgräbt und auf TikTok teilt („Victoria Beckham is a mood“). Seit Jahrzehnten erfindet sich Victoria Beckham neu, mal mit dem Zeitgeist, mal gegen ihn. Ein Marathon-Leben im Blick der Öffentlichkeit. Das muss man wollen – und können.
Eigensinn und Entschiedenheit bewies Victoria Beckham, 1974 als Victoria Adams in Essex östlich von London geboren, jedoch schon früh. Als Teenager beschloss sie, Popstar werden zu wollen; die Eltern, durch einen Elektronik-Handel zu Wohlstand gekommen, schrieben sie an einer Theaterschule ein. 1996 dann der Durchbruch mit der Girlgroup Spice Girls. Singen konnte Victoria nur mittelgut, die wichtigsten Partien und Soli übernahm sie zu Spice-Girl-Zeiten jedenfalls nicht. Mit dem Spitznamen Posh Spice galt sie vor allem als die modisch Elitäre unter ihren Kolleginnen, die das Girlpower-Victory-Zeichen gern in knallengen Designer-Minikleidern in die Kamera zeigte. Victoria, die Stilbewusste: Ein Image, das es ihr später einfacher machen sollte, sich an der Seite von Mittelfeld-Star David Beckham in der Glitzerwelt des europäischen Fußballer-Gattinnen-Jetsets zu behaupten – und, wieder einige Jahre später, glaubwürdig ins Designerinnenfach zu wechseln.
Großer Auftritt bei der Hochzeit von Prinz William und Kate
Der Start dort war freilich nicht einfach. Nach belächelten Ausflügen in die Celebrity-Fashion – man erinnere sich an die mit Krönchen-Logo bestickten Jeans, die sie Anfang der Nullerjahre für die amerikanische Denim-Marke Rock & Republic entwarf – startete sie 2008 ihr eigenes Label Victoria Beckham. Das hing zwar wirtschaftlich bereits mehrfach in den Seilen, hält sich seit Jahren, wie so viele Modemarken, mit einer erfolgreichen Kosmetiklinie über Wasser; und doch brachten die apart geschnittenen Kleider von „Victoria Beckham“ der Namensgeberin über die Jahre den Ruf als ernstzunehmende Designerin ein. Ihr wohl wirkungsvollster Werbeauftritt für die eigenen Entwürfe: 2011 tauchte sie bei der Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton hochschwanger in Ultra-High-Heels und einem dunkelblau wallenden Gewand in der Westminster Abbey auf.
Vom Pop-Girlie im Minirock zur blondgesträhnten Footballer-Wife, die ihren Mann in Lederjacken-Partner-Look steckt. Von der findigen Geschäftsfrau zur wohlwollenden Celebrity-Matriarchin (die Beckhams haben vier erwachsene Kinder, die allesamt mehr oder weniger in den internationalen Klatschspalten stattfinden): Victoria Beckham versteht sich auf die Kunst, ihrem Leben immer wieder neue Wendungen zu verpassen, sich dabei aber stets so treu zu bleiben, dass jeder neue Schritt zum medialen Gesamtkunstwerk beiträgt.
Victoria Beckham 2007. Ihr Bob wurde damals zum weltweiten Trend.
© Mark Thompson/Getty Images
Denn die reservierte, etwas eitle Persona, die sie in der Öffentlichkeit präsentiert, ist immer die gleiche geblieben. Victoria Beckham lächelt nicht. Victoria Beckham isst nur Gemüse und gedämpften Fisch, um die überschlanke Figur zu erhalten. Victoria Beckham leidet gern in High Heels, wenn das dem Outfit zuträglich ist. Victoria Beckham chillt nicht auf Sofas, sondern drapiert sich seitlich-unbequem darauf wie in einem impressionistischen Gemälde. Und Victoria Beckham spricht von sich selbst in der dritten Person, wenn sie der Meinung ist, dass dieser kleine Manierismus ihrer Personal Brand guttut – wie in einem von ihr selbst veröffentlichten Youtube-Video („Victoria Beckham hat einen Hund. Victoria Beckham trägt eine von ihr selbst entwickelte Foundation“). Es kann nur eine Victoria Beckham geben, und es kann nicht schaden, immer wieder daran zu erinnern.
Zu Victoria Beckhams Charme gehört aber eben auch, im richtigen Moment einen selbstironischen Witz hinterherzuschicken, wenn die „VB“-Inszenierung zu sehr ins Affektierte zu rutschen droht. Aktuell etwa in einem gemeinsam mit ihrem Mann für den Einkaufservice Uber Eats. Sie trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck „David’s Wife“ und kann sich nicht an den Namen ihrer Band erinnern: „Wasn’t it Cinnamon Sisters?“
Victoria und David genießen den Status als lebende Legenden
In solchen kleinen Momenten deuten die Beckhams gern an, dass sie selbst gar nicht glauben können, wie sie im Leben dort gelandet sind, wo sie sich gerade befinden. Beide scheinen den Status als lebende englische Legenden zu genießen (beide gehören zum Order of the British Empire) und sich gleichzeitig für „ganz normale“ Leute zu halten. In einer viral gegangenen Szene aus der Netflix-Doku „Beckham“ von 2023 behauptet Victoria, aus der „Working Class“ zu stammen – bis David sie auffordert zu sagen, in welchem Auto ihr Vater sie zur Schule fuhr. Es war ein Rolls Royce. Aber klar: Aus der heutigen Perspektive als Superstar mag ihr das gut situierte Aufwachsen im ländlichen England wie eine durchschnittliche Kindheit vorkommen – die sie wohl aus ihrer Sicht im Drive, es im Leben zu etwas bringen zu wollen, sehr geprägt hat.
Victoria und David Beckham bei der Premiere ihrer Netflix-Doku 2023 in London
© Ian West/PA via AP
Und Victoria Beckham hat viel erreicht. Dass sie es sich nicht bequem macht, sondern sich einfach immer neue Ziele steckt, fleißig ist, das kommt beim gegenwärtigen Publikum gut an. Jetzt, mit 50, erfährt sie für ihr Lebenswerk jedenfalls eine Form der öffentlichen Anerkennung, die unvorstellbar schien, als man sich vor 20 Jahren über ihre exaltierten Looks, ihren dünnen, gebräunten Körper und ihre Treue zu David nach Affären-Gerüchten lustig machte. Sie gibt ein Geburtstagsinterview in den wichtigsten Modezeitschriften, zeigt eine Kollektion in Paris, wo, wie schon Karl Lagerfeld sagte, nicht jeder so schnell hinkommt, macht Werbung für ihre Mode in der britischen Sonntagszeitung „The Sunday Times“.
Victoria Beckham ist überall und sie ist Kult. Plötzlich sind ihre crazy Nullerjahre-Looks wieder cool, selbst die Krönchen-Jeans werden im Vintage-Markt für Hunderte von Euro versteigert. Ambitioniert, wie sie ist, weiß Beckham das Momentum für sich zu nutzen und bringt dieser Tage eine erschwingliche Kollektion für die spanische Modekette Mango heraus. Ein bisschen VB-Flair für alle.