Im April 2023 schaltete Deutschland seine letzten drei Kernkraftwerke ab – die Angst vor Blackouts und Strompreisexplosion war groß. Doch das Ende der Ära „Atom“ verlief lautlos. 

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Am 15. April 2023 gingen die letzten drei deutschen Atomkraftwerke (AKW) vom Netz: „Neckarwestheim 2“ von EnBW, „Isar 2“ von E.On und „Emsland“ von RWE. Mit dem Aus schuf die Bundesregierung Tatsachen in der Debatte über den deutschen Atomausstieg. Seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 hatten Politik und Gesellschaft erbittert darüber gestritten. Die Abschaltung der Kraftwerke war heftig umstritten: Die Gegner des Ausstiegs warnten, dass dies die Energiesicherheit Deutschlands gefährde. Von Blackouts und Strompreisexplosion war die Rede.

Doch wie gut oder schlecht steht es ein Jahr nach dem Atomausstieg wirklich um die Energieversorgung in Deutschland? Sind die Befürchtungen eingetreten? Haben wir zu wenig Energie? Ist Strom seit dem Ende der Nuklearenergie teurer geworden?

Atomausstieg war Erfolg

Unterm Strich: Der Atomausstieg hatte weniger negative Effekte als erwartet. Der Preis für eine Megawattstunde (MWh) Strom an den Energiebörsen hat sich tatsächlich fast halbiert: Während sie im April 2023 noch 99,01 Euro kostete, verbilligte sie sich im April 2024 auf 55,01 Euro. Damit hat der Preis das Niveau von April 2021 erreicht.

Grafik Strompreis Haushalte

Auch die Verbraucherpreise für Strom sind gefallen: Laut dem Vergleichsportal Verivox kostete eine Kilowattstunde (KWh) im April 2023 noch 33,83 Cent, ein Jahr später liegt der Preis nur noch bei 26,05 Cent. Trotz dieser für die Haushalte positiven Entwicklung halten viele Bürger den Ausstieg für eine schlechte Entscheidung: Laut einer Umfrage von Verivox sind 51 Prozent der Befragten gegen die Abschaltung, nur 28 Prozent dafür.

Atomstrom durch Erneuerbare ersetzt

Wer die Folgen des Atomausstiegs besonders genau beobachtet, ist Bruno Burger, Professor und Senior Scientist am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE). Ihm zufolge wurde „die Kernkraft durch die gestiegene Erzeugung aus erneuerbaren Energien energetisch ersetzt“. Auch die Erzeugung aus fossilen Energien sei zurückgegangen. Dies wiederum sei durch Stromeinsparung, Eigenstromerzeugung aus Photovoltaik, eine reduzierte Last und Importe kompensiert worden.

„Tatsächlich wurde die Stromerzeugung aus Kernkraft energetisch durch erneuerbare Energien ersetzt. Im ersten Jahr ohne Kernenergie wurden ungefähr 270 TWh erneuerbarer Strom erzeugt, 33 TWh mehr als im Vorjahreszeitraum. Unser Strommix ist so sauber wie nie zuvor“, so Burger. Die Abkürzung TWh steht für Terawattstunde. Die Erneuerbaren Energien hatten demnach zwischen April 2023 und April 2024 einen Anteil von 58,8 Prozent an der elektrischen Last. Das ist die Summe aus dem öffentlichen Stromverbrauch und den Netzverlusten.

Während die Stromgewinnung aus Erneuerbaren zugenommen hat, ist die Produktion aus fossilen Brennstoffen gesunken. Im ersten Jahr ohne Atomstrom haben Kohle, Erdgas, Öl und Müll etwa 154,4 TWh an Strom produziert – ein erheblicher Rückgang im Vergleich zu den Vorjahren und 26 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Heute machen fossile Brennstoffquellen nur noch 33,7 Prozent der öffentlichen Nettostromerzeugung aus. Hohe Kosten für Erdgas und Kohle sowie CO2-Zertifikate sind einige der Gründe für diesen Rückgang.

Darüber hinaus hat sich die Gesamtstromnachfrage (Last) um 2,1 Prozent auf 459 TWh verringert. Dieser Rückgang ist auf eine Kombination verschiedener Faktoren zurückzuführen, darunter Stromersparnis in Industrie und Privathaushalten, eine allgemeine Produktionsabnahme und eine erhöhte Selbstnutzung von Photovoltaikstrom.

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Mehr Strom importiert als im Vorjahr

Allerdings stellt Burger fest: Die Importe von Strom sind gestiegen, obwohl Deutschland genügend Kraftwerkskapazität hatte, um sich jederzeit selbst zu versorgen. Von April 2023 bis April 2024 hat Deutschland 23 Terawattstunden Strom importiert, gegenüber 21,3 Terawattstunden Export im Vorjahr. „Grund sind die deutlich gefallenen Börsenstrompreise“, erklärt Burger. 

„Im Sommer haben die erneuerbaren Kraftwerke in den Alpen und in Dänemark, Norwegen und Schweden günstigen Strom erzeugt, so dass die deutschen Kohlekraftwerke nicht konkurrenzfähig waren. So kam auch über den Import viel Strom mit niedrigen Treibhausgasemissionen nach Deutschland.“ Hinzu kam, dass im Sommer viele Kernkraftwerke in Frankreich nach den Ausfällen im Jahr 2022 wieder am Netz waren und überschüssigen Strom exportiert haben.

Die Auswertung des Zeitraums Mitte April 2023 bis Mitte April 2024 zeige also, dass der Wegfall der Kernkraft in Deutschland gut kompensiert werden konnte, so das Fazit des Fraunhofer-Instituts. Entgegen den Behauptungen liege der Anstieg beim Import nicht an mangelnden Erzeugungskapazitäten in Deutschland, sondern an den günstigen Erzeugungspreisen der erneuerbaren Kraftwerke in den Alpen und in Skandinavien.