Sieben Jahre nach dem Attentat von Manchester verklagen die Opfer den britischen Geheimdienst. Darunter: Andrew Roussos, Vater einer getöteten Achtjährigen.
Hunderte Überlebende des Attentats von Manchester haben Klage gegen den britischen Geheimdienst eingereicht. Bei dem Anschlag vor fast sieben Jahren hatte sich ein Attentäter nach einem Popkonzert in die Luft gesprengt und 22 Menschen getötet, darunter sieben Kinder und Jugendliche. Hunderte weitere erlitten Verletzungen.
Die Achtjährige Saffie-Rose war das jüngste Opfer. „Sie war ein menschlicher Magnet voller Liebe“, sagte Vater Andrew Roussos britischen Medien. Lisa Roussos, die Mutter des Mädchens, hatte sie zum Konzert begleitet. Vom Tod ihrer Tochter erfuhr sie erst sechs Wochen später. Zu diesem Zeitpunkt hatte bereits die Queen ihr tiefes Mitgefühl ausgesprochen und im ganzen Land wurde öffentlich getrauert. Roussos aber lag im Koma. Als sie erwachte, ahnte sie bereits, dass etwas nicht stimmt: „Ich wusste… ich wusste es einfach“, sagt Roussos später dem Fernsehsender BBC. „Ich war so schwer verletzt und sie eine winzige Achtjährige, welche Chance hatte sie?“
Der Anschlag hätte gestoppt werden können
Gemeinsam mit Hunderten Überlebenden und Angehörigen haben die Roussos nun Klage gegen den britischen Geheimdienst eingereicht. Die Opfer und Hinterbliebenen werfen dem MI5 vor, Warnungen ignoriert und den Täter falsch eingeschätzt zu haben. “Das alles hätte nicht passieren dürfen”, sagte Andrew Roussos dem Fernsehsender Sky News. “Hätte ich gewusst, wie schlecht dieses Land auf so etwas vorbereitet ist, hätte ich sie selbst beschützt.”
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Der Täter, Salman Abedi, 22, zündete am 22. Mai 2017 eine selbstgebaute Bombe im Foyer der Manchester Arena. Dort ging gerade ein Konzert der US-Popsängerin Ariana Grande zu Ende. Der Anschlag traf vor allem die jungen Fans und Eltern, die gekommen waren, um ihre Kinder abzuholen.
Eine offizielle Untersuchung im Auftrag des britischen Innenministeriums hatte im März ergeben, dass die Tat möglicherweise hätte verhindert werden können. Konkret hätten die Ermittelnden zwei wichtige Indizien als nicht terrorismusbezogen eingestuft. Ein Beamter hatte eingeräumt, einen dieser Hinweise zwar für „sicherheitsrelevant“ befunden, aber versäumt zu haben, ihn direkt mit Kollegen zu besprechen – und das Aufschreiben des Berichts auf den nächsten Tag vertagt. Im 207-seitigen Abschlussbericht heißt es, „durch die verspätete Bereitstellung des Berichts wurde die Gelegenheit verpasst, eine potenziell wichtige Ermittlungsmaßnahme zu ergreifen.“
So hätte man Abedi zu dem Nissan Micra verfolgen können, in dem er Sprengstoff lagerte, mit dem er später in einer Wohnung die Bombe baute. Außerdem hätte der MI5 den 22-Jährigen vier Tage vor dem Anschlag bei seiner Rückkehr aus Libyen am Flughafen Manchester aufhalten können, hieß es im Untersuchungsbericht. Ob die Bombe durch das Eingreifen verhindert worden wäre, sei allerdings „ziemlich unmöglich“ , sagte der Vorsitzende der Untersuchungskommission, Sir John Saunders.
Wer hat das Attentat mit vorbereitet?
Dem Bericht zufolge sei Abedi außerdem wahrscheinlich aus Libyen bei den Vorbereitungen unterstützt worden, von wem, habe man aber nicht ausmachen können. Die Terrororganisation Islamischer Staat hatte sich zu dem Anschlag bekannt, in der kurzen, allgemein gehaltenen Erklärung sei aber der Attentäter nicht benannt worden und einige Fakten des Anschlags falsch wiedergegeben zu sein. Auch der jüngere Bruder des Täters, Hasham Abedi, hatte den Anschag mit vorbereitet. Er war 2020 wegen 22-fachen Mordes zu mindestens 55 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Nach Veröffentlichung des Berichts hatte sich der Generaldirektor des MI5 entschuldigt. „Ich bedaure zutiefst, dass der MI5 den Anschlag nicht verhindern konnte“, sagte Ken McCallum. Der Geheimdienst habe eine „entscheidende Chance“ verpasst, den Täter zu stoppen. Der MI5 hat seit dem Attentat mehr als 100 Verbesserungen vorgenommen, berichten britische Medien.
Erste Klage gegen den MI5 überhaupt
Für Andrew Roussos, Vater der getöteten Achtjährigen kommt das Entschuldigung zu spät. “Wenn sie sich ehrlich entschuldigen wollten, dann hätten sie das am ersten Tag gemacht und nicht erst, nachdem eine Untersuchung ihre Schuld festgestellt hat”, sagte er britischen Medien.
Mehr als 250 Menschen haben sich der Sammelklage gegen den MI5 angeschlossen, sie werden von drei Kanzleien vertreten. Zuständig ist das für die Sicherheitsbehörden und Geheimdienste zuständige Investigatory Powers Tribunal. Es sei die erste Klage gegen den MI5 überhaupt, heißt es in britischen Medien.
Quellen: CBS, BBC, Britisches Königshaus, Washington Post, Sky News, DPA