Endlich wird das Selbstbestimmungsgesetz im Bundestag beschlossen. Doch die Kritik, die es für das Gesetz von Anfang an gab, flammt aus allen Ecken wieder auf. Unsere Autorin findet: Das Selbstbestimmungsgesetz ist so nicht selbstbestimmt genug.
Das Selbstbestimmungsgesetz wird beschlossen und das Geschrei ist weiter groß. Mit dem neuen Gesetz könne jetzt plötzlich jeder Mensch einfach „sein Geschlecht ändern lassen“ und ungestraft etwa in Frauensaunen eindringen. „Aber die Schutzräume für Frauen“, rufen Kritiker empört. Ganz so, als ob sie nie am Sportunterricht teilgenommen hätten, bei dem der Lehrer den Mädchen dann doch lieber nochmal Hilfestellung gegeben hat und die Hand dann, ganz aus Versehen natürlich, am Hintern gelandet ist.
Männer brauchen keine Einladung, um in Schutzräume für Frauen einzudringen und auch keine Legitimation. Sie haben auch bisher keine Erlaubnis gebraucht, um Frauen zu belästigen und immer wieder mit übergriffigem Verhalten durchzukommen. Wer diese Schutzräume zu unsicheren Orten machen will, den hat bisher kein Geschlechtseintrag daran gehindert und den wird auch weiterhin kein Geschlechtseintrag daran hindern.
Transpersonen sind nicht das Problem
Als junge Frau habe ich schon mehrfach selbst Situationen erlebt, in denen ich mich wegen Männern unsicher gefühlt habe und kenne zahlreiche Geschichten von Freundinnen in denen sie übergriffiges Verhalten von Männern erleben mussten. Nichts liegt mir ferner, als Frauen übergriffige Erfahrungen mit Männern absprechen zu wollen, denn die gibt es leider auch 2024 noch viel zu oft. Aber Transpersonen und ihr Recht auf ein menschenwürdiges Leben, ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben, sind eben nicht das Problem.
Das Problem sind am Ende des Tages noch immer Männer, die sich übergriffig verhalten und daran wird auch ein Selbstbestimmungsgesetz nichts ändern. Denn sie drängen auch jetzt ohne irgendwelche Legitimation in unsere Räume ein, wenn ihnen danach ist. Transpersonen wiederum werden durch diese Argumente weiter unter Generalverdacht gestellt, böse und übergriffig zu sein.
Dabei sind Transpersonen viel eher vorsichtig. Ziehen sich aus Angst vor Diskriminierung eher zurück als aktiv in Schutzräume zu gehen. Freund*innen von mir, die trans sind, ertragen tagtäglich mit den falschen Pronomen angesprochen werden, um bloß nicht zu unangenehm aufzufallen. Im Schwimmbad oder der Sauna waren die meisten schon lange nicht mehr. Viel zu groß die Sorge vor Anfeindungen in der Umkleidekabine in der sie sich eigentlich wohler fühlen würden. Zu groß die Dysphorie, also das Unwohlsein im eigenen Körper, wenn der einfach nicht zu dem passt, was die meisten dem eigenen Geschlecht zuordnen würden. Das ist ja schon ein Problem beim Gang auf die öffentliche Toilette. Welche ist denn jetzt die Richtige, wenn ich mich vielleicht nicht als männlich oder weiblich, sondern als nicht-binär identifiziere?Glossar
Das Selbstbestimmungsgesetz braucht mehr Selbstbestimmung
Natürlich kann und muss man das Gesetz auch sinnvoll kritisieren. Das ginge in etwa so: Das Selbstbestimmungsgesetz ist nicht weitreichend genug und öffnet weiterhin Tür und Tor für die Diskriminierung von Transpersonen. Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat zum Beispiel einen expliziten Hinweis auf das Hausrecht in das Gesetz aufgenommen, der deutlich macht: Wer eine Sauna besitzt und Zweifel am Geschlecht einer Person hat, dürfte sie weiter rausschmeißen, selbst mit weiblichem Geschlechtseintrag. Das Gesetz enthält außerdem eine Klausel, die es in Kriegszeiten faktisch außer Kraft setzt – zumindest bei einer Änderung des Geschlechtseintrags auf den Weiblichen. Das Argument: sonst würden Männer das Gesetz ja ausnutzen, um sich dem Kriegsdienst zu entziehen.
Behörden sollen außerdem erfahren, wenn der Geschlechtseintrag geändert wird. Das soll laut Gesetz dafür sorgen, dass sich niemand durch eine Änderung des Geschlechtseintrags vor der Strafverfolgung drücken kann. All diese Regelungen wollen einen Missbrauch des Gesetzes verhindern, könnten am Ende aber für weitere Diskriminierung sorgen – gesetzlich legitimiert. Bei einer Namensänderung durch eine Hochzeit ist eine solche Übermittlung der Daten jedenfalls nicht vorgesehen. Und das ist nur der Anfang der Punkte, an denen dringender Nachholbedarf besteht.STERN PAID Vornamensänderung trans Personen 15.21
„Dass ein Mann seinen Geschlechtseintrag mit allen verbundenen Folgen ändert, nur um eine Frauensauna oder eine Toilette zu betreten und Frauen zu belästigen, ist lebensfremd“, schrieb Ferda Ataman, die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung letztes Jahr, als der Gesetzentwurf im Bundeskabinett beschlossen wurde, in einer Stellungnahme gegenüber der „Zeit“ und damit bringt sie die Absurdität auf den Punkt. Damit ist sie nicht allein. Viele Trans- und Queer-Aktivist:innen kritisieren das schon seit dem ersten Entwurf und fordern schon lange deutliche Nachbesserungen, bevor der im Bundestag endgültig beschlossen wird. Passiert ist daraufhin bis heute leider zu wenig. Immerhin ist der Entwurf, so wie er heute beschlossen wird, seit November nicht mehr verändert worden.
Schrittweite anpassen
Das Gesetz ist so wie es jetzt vorliegt jedenfalls alles andere als ein Angriff auf die Rechte von Frauen, denn die wollen Trans- und nicht-binäre Personen nicht einschränken. Es schürt allerdings weiter die aktuell ohnehin immer schlimmer werdende Transfeindlichkeit in Deutschland und sorgt dafür, dass Transpersonen weiter stigmatisiert werden. Dabei sollte das Gesetz Trans- und nicht-binäre Menschen schützen und nicht durch diskriminierende Passagen noch mehr unter Generalverdacht stellen. Selbstbestimmung und Antidiskriminierung, Betroffenen endlich mal zuhören, geht jedenfalls anders.
Doch bei aller berechtigter Kritik – das Gesetz ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und viele Trans- und nicht-binäre Personen warten schon lange auf diese so überfälligen Neuerungen. Endlich müssen sie sich nicht mehr dem diskriminierenden Verfahren des alten, verfassungswidrigen Gesetzes stellen. Nur die Schrittweite, die hätte angepasst werden müssen. So braucht dieses Gesetz schon bevor es überhaupt beschlossen ist eine Reform. Damit es wirklich selbstbestimmt wird und seinen Namen dann auch endlich verdient.