Wer sich in den USA nach gestern sehnt, der ist heute gegen Abtreibung. Das ist eben rechte Leitkultur. Und Spoiler: Donald Trump ist rechts. Aber warum springt der mögliche Bald-Wieder-Präsident gerade bei dem Thema Seilchen mit der Parteilinie?
Es mag verrückt klingen, aber Donald Trump achtet darauf, was er sagt – zumindest in Maßen. In ihm eigenen Maßen. Die Grenzen des Sagbaren, die sind für den Republikaner zwar weit durchlässiger als die Grenze im Südenn für Flüchtlinge. Doch es gibt sie noch, die verbalen Minenfelder. Und kaum ein Thema ist so explosiv wie Abtreibung.
Mal verspricht der Ex-Präsident, in einer zweiten Amtszeit einen Kompromiss finden zu wollen, dann liebäugelte er mit einem landesweiten Verbot, zuletzt wollte er die Staaten selbst entscheiden lassen.
Seine Gegner können Trump eine Menge vorwerfen. Aber, dass er ein Mann der klaren Worte ist, das dürfte kaum jemand bestreiten. Woher kommt also die Unentschlossenheit? Wovor hat er Angst? Szenarien US-Wahl 06.27
Hauptsache Pro: Trump gibt das rechte Fähnchen im Wind
Als Trump zur Jahrtausendwende zum ersten Mal mit der Präsidentschaft kokettierte, war er noch dafür, dagegen zu sein. Zwar hasse er das „Konzept“ Abtreibung. Trotzdem sei er „sehr pro-choice“, sagte der unterhaltsame Unternehmer 1999 in einem NBC-Fernsehinterview. Vielleicht war es einem Rest jugendlicher Unbedarftheit geschuldet – er war damals gerade Anfang 50. Oder vielleicht lag es an seinem New Yorker Freigeist: „Ich habe mein ganzes Leben in Manhattan gewohnt. Meine Ansichten wären ein bisschen anders, hätte ich in Iowa gelebt“. Dass der schräge Typ aus dem Fernsehen mit der Fönfrisur einmal der mächtigste Mann der Welt werden würde, daran glaubten damals sowieso nur die „Simpsons“-Macher.
Sicher, Trump war schon immer irgendwie rechts. Nur musste er sich kein Etikett aufkleben. Wozu auch? Als Geschäftsmann im demokratischen New York war er schließlich in erster Linie Pragmatiker. Mal spendete er nach links, mal nach rechts – wie es eben passte. Sein bis dahin sehr weit geschnittenes Wertekorsett wurde erst enger, als er sich ernsthaft um eine Kandidatur für die Republikanische Partei bemühte. Denn bei so manchen Themen duldet die konservative Basis keine Abweichler. Das Thema Abtreibungen gehört definitiv dazu.
Nur war Lebemann Trump da eigentlich weniger prüde. In seinem Buch „Furcht – Donald Trump im Weißen Haus“, erzählt der amerikanische Star-Journalist Bob Woodward ein Treffen zwischen Trump und seinem späteren Berater David Bossie nach – Jahre bevor Trump tatsächlich ins Präsidentschaftsrennen einstieg. Der rechte Aktivist habe Trump damals klarmachen wollen, dass ein Kandidat die republikanischen Vorwahlen nur überstehe, wenn er sich ausdrücklich als Abtreibungsgegner positioniere. Und er, Trump, habe sich nicht nur offen für das Frauenrecht ausgesprochen, sondern auch an entsprechende Organisationen gespendet. Dafür gebe es Beweise. Für Trump kein Problem: „Sowas kann man ja wegkriegen. Ich bin – wie nennen Sie das? Pro-Life. Ich bin für das Leben, das sage ich Ihnen“.
So einfach ist es ein paar Jahre später dann nicht. Die Abtreibungsfrage bringt Trump im Wahlkampf 2015/2016 gefährlich ins Schlingern. US-Medien attestierten ihm damals „fünf verschiedene Positionen zur Abtreibung in drei Tagen“. Am Ende war er dann natürlich wie versprochen Pro-Life, er habe sich eben „weiterentwickelt“. Das sind Trumps Milliardärs-Sponsoren 06.24
Seine rechte Emanzipation endete für die USA in einem historischen Rückschritt. Während seiner Regentschaft berief Trump drei erzkonservative Richter in den Supreme Court. Statt die USA in die Zukunft zu hieven, holten die Trumpisten in schwarzen Roben die Vergangenheit zurück. Die konservative Richtermehrheit kippte 2022 das Grundsatzurteil Roe v. Wade – und machte damit ein halbes Jahrhundert Abtreibungsrecht zunichte. Seitdem haben 14 Staaten ein nahezu vollständiges Abtreibungsverbot erlassen. „Es war mir eine große Ehre, dies zu tun!“, sagte Trump damals.
Spätestens nachdem bei den Zwischenwahlen 2022 von ihm protegierte Kandidaten in vielen Staaten an den Urnen untergingen, hatte sich der Wind in Sachen Abtreibung allerdings erneut gedreht – und mit ihm Trump. Der Gönner der Gescheiterten wies freilich jede Schuld von sich – die Verlierer hätten die Abtreibungsfrage eben schlecht gehandhabt, die Hardliner seien zu unflexibel gewesen. Seitdem tänzelt Trump um das böse Wort mit A herum.
Trumps Vermächtnis: Arizona dreht die Uhr zurück
Doch so einfach kommt Trump nicht aus der Sache raus. Anfang der Woche erklärte er in einer Videobotschaft, mit ihm als Präsident könnten die Bundesstaaten selbst entscheiden, ob, wann und wie lange abgetrieben werden dürfe. Er habe mit dem Ende von Roe v. Wade die Grundlage geschaffen, jetzt sei es an den Staaten „das Richtige zu tun“.
Das bis dahin von ihm mitgeschürte Gerücht, dass er ein landesweites Abtreibungsverbot nach der 15. Schwangerschaftswoche unterzeichnen würde, erwähnte er mit keinem Wort. „Folgen Sie immer Ihrem Herzen, aber wir müssen gewinnen“, schloss er die Botschaft. Seine Abtreibungspolitik in einem Satz. Wie Trump die Republikanische Partei für immer verändert hat6:16
Das Timing hätte besser sein können. Nur einen Tag, nachdem Trump seine innere Schweiz gefunden hatte, demonstrierte Arizona, wie erzkonservative Eigenbrötelei enden kann. Die Obersten Richter im Grand Canyon State hatten kräftig an der Uhr gedreht und ein 160 Jahre altes, nahezu komplettes Abtreibungsverbot wieder in Kraft gesetzt (der stern berichtete). Wer abtreibt oder dabei hilft, dem drohen bis zu fünf Jahre Haft – völlig egal, ob die Schwangerschaft das Ergebnis von Inzest und/oder Vergewaltigung war.
Eine Steilvorlage für die Demokraten. Konkurrent Joe Biden postete auf X die Schlagzeile über einem Bild von Trump in Golfer-Montur. Darüber schrieb er: „Trump hat das getan”.
Und der ruderte wieder zurück. Das antike Rechtsverständnis der Richter in Arizona war ihm dann doch zu doll, vor allem die fehlenden Ausnahmen für Extremfälle. Auf eine Frage eines Reporters am Mittwoch, ob er glaube, dass dies „zu weit“ gegangen sei, stimmte Trump zu. „Ja, das sind sie, und das wird wieder in Ordnung gebracht“, sagte er.
Trump sitzt in der Abtreibungsfalle
Als er 2020 für eine zweite Amtszeit kandidierte, huldigten ihm Abtreibungsgegner als „größten Pro-Life-Präsidenten der Geschichte“. Inzwischen stolpert Trump öfter über sein Vermächtnis als Biden auf der Suche nach dem Rednerpodium. Aus gutem Grund. Aus Angst.
In den vergangenen zwei Jahren der Post-Roe-Ära haben laut „NBC News“ Abtreibungsbefürworter jede einzelne Wahl gewonnen, bei dem sie direkt auf dem Stimmzettel standen. Und es wird sowieso eng im November. Stand jetzt liegen Trump und Biden in den Umfragen nahezu gleichauf. Die beiden Kandidaten müssen um jede unentschlossene Stimme buhlen. Trump Interview Alexander 06.20
Trump ist sich der Gunst seiner Basis allzu sicher. Doch ist die Haben-Seite dieser Tage ein wackeliges Konstrukt. Dass er sich von einem nationalen Abtreibungsverbot distanziert, sei ein „Schlag ins Gesicht von Millionen von Amerikanern, die Pro-Life sind“, urteilte sein Ex-Vize Mike Pence, selbst ein tiefgläubiger Mann. Die Beziehung zwischen Trump und den brettharten Evangelikalen lief schon mal besser. Dass sich Trump ab kommender Woche vor Gericht für eine mutmaßliche Schweigegeldzahlung an eine gewisse Stormy Daniels verantworten muss, trägt da nicht zur Heilung bei. Hardcore-Christen tun sich naturgemäß schwer damit, für einen Mann zu stimmen, der mit einer Pornodarstellerin „verkehrt“ – Konjunktiv hin oder her.
Trumps größtes Pro unter Pro-Lifern: Er ist nicht Biden. Doch die kompromisslosen Abtreibungsgegner werden weniger. Auf dem Papier sind die Amerikaner deutlich liberaler als bei Trumps erstem Rennen 2016. Waren damals laut dem Meinungsforschungsinstitut Gallup noch 19 Prozent der US-Bürger dafür, Abtreibungen unter allen Umständen zu verbieten, sind es heute nur noch 13 Prozent. Wie schon bei den Midterms vor zwei Jahren könnte auch diesmal ultrarechte Verbohrtheit die Republikaner den Sieg und Trump seine Zukunft kosten. Es gibt schließlich nicht den einen Republikaner. Viele moderate Konservative sind zwar grundsätzlich gegen Abtreibungen, sehen aber die Notwendigkeit für Ausnahmen. Trump muss hart genug sein, um das eine und vage genug sein, um das andere Klientel zu bedienen.
Wenn das jemandem gelingt, dann vermutlich ihm. Für Trump sind Grundsätze nicht in Stein gemeißelt, sie sind Handelsware, die es im richtigen Moment zum bestmöglichen Preis einzutauschen gilt. Wie es ein Abtreibungsgegner gegenüber der „Washington Post“ unfreiwillig treffend formulierte: „Ich höre aus der Aussage des Präsidenten ein Komma, keinen Punkt.“ Kein Spitzenpolitiker in den USA hat in Sachen Abtreibung so oft die Farbe gewechselt. Doch jetzt, so scheint es, sitzt auch Chamäleon Trump in der Falle. Immerhin: Mission Abort und Mission Abortion trennen nur drei Buchstaben.
Weitere Quellen: CNN; „Politico“; „Axios“; „Washington Post“; Podcast „The Daily“ (NYT); „NBC News“