Sie haben einfach keine Lust mehr auf Touristen: Einwohner zahlreicher Urlaubsorte wehren sich gegen die Besucher. Massentourismus ist vielen Menschen ein Dorn im Auge. Wie können wir mit dem unbeliebten Phänomen umgehen?
Wenn eine Sonnenliege sich im italienischen Badeort Bibione nahtlos an die nächste reiht, wenn sich hunderte Menschen aneinander vorbeidrängeln, um den Trevi Brunnen in Rom oder die Sagrada Familia in Barcelona zu besuchen, wenn Hotels und Restaurants in Kroatien und Griechenland ausgebucht sind, dann ist wieder Sommer. Und mit den steigenden Temperaturen zieht in vielen Orten Europas auch etwas anderes mit ein: der Massentourismus.
„In vielen Bereichen des Tourismus sind wir wieder auf dem Stand von 2019, wenn wir die touristischen Kennzahlen betrachten“, sagt Tourismusforscher Markus Pillmayer von der Hochschule München im Gespräch mit dem stern. Probleme wie Massentourismus habe es auch früher schon gegeben, lediglich unser Umgang damit habe sich geändert. Der Experte spielt damit auf die vielen Aktionen von Einheimischen an, die seit einiger Zeit gegen den Massentourismus in ihrer Heimat vorgehen:
Bali führt einen Leitfaden für Touristen ein, um das respektlose Verhalten der Urlauber zu unterbinden. Auf Mallorca gibt es immer mehr alkoholfreie Zonen und Partyverbote, um den Sauftourismus einzuschränken und Einwohner zu schützen. Amsterdam veröffentlicht eine Werbekampagne gegen britische Partyurlauber, weil diese für immer mehr Ärger im Stadtzentrum sorgen. Venedig führt eine Einreisegebühr für Tagestouristen ein, Kroatien eine Touristensteuer, immer mehr Urlaubsorte setzen Obergrenzen für Besucher.
Massentourismus ist wieder im Kommen
Und das ist nur eine kleine Auswahl der Maßnahmen. Was alle gemeinsam haben: Sie sind ein Hilferuf. Die Bewohner der Touristen-Hotspots wehren sich gegen die Massen an Reisenden, die ihre Heimat im Sommer bevölkern. Viele von ihnen hatten die leise Hoffnung, dass die Pandemie ein neues Bewusstsein für Reisen schaffen würde, dass es eben nicht wieder so sein würde wie früher.
Stattdessen sind wir auf dem besten Weg zurück in alte Zeiten: Laut einer Prognose des „Kompetenzzentrums Tourismus des Bundes“ könnte das Reiseaufkommen von und nach Deutschland im Jahr 2024 bereits das Vor-Corona-Niveau übertreffen. Laut dem internationalen Flughafenverband ACI verzeichnete die Flugbranche im Jahr 2023 bereits 95,5 Prozent des Flugaufkommens von 2019. Und die Reiselust der Menschen reißt trotz Inflation und Krieg nicht ab, im Gegenteil: Immer wieder bestätigen Umfragen das große Interesse am Reisen.
Für viele Menschen bedeutet Urlaub, an ihr Lieblingsreiseziel zu fahren. Und das liegt für die Deutschen oft in Spanien, Italien, Griechenland oder der Türkei. Wer in der Hauptsaison eine Reise dorthin bucht, der weiß in der Regel auch: Es wird voll und im Zweifel stressig. Dennoch denken viele nicht daran, ein anderes Reiseziel auszuprobieren. „In der Wissenschaft bezeichnen wir das als Awareness-Attitude-Gap. Das heißt, ich weiß, dass mein Verhalten falsch oder zumindest fragwürdig ist, ich mache es aber trotzdem“, sagt Tourismusforscher Pillmayer Wer schon immer nach Mallorca geflogen ist, werde das auch erstmal weiter tun, frei nach dem Motto: „Es wird schon gutgehen.“
Woher kommt eigentlich der Massentourismus?
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Massentourismus ein komplexes Phänomen ist, das viele Ursachen hat. Pillmayer nennt die aus seiner Sicht prägenden Faktoren: „Einerseits haben die Menschen global betrachtet mehr Geld zum Reisen zur Verfügung. Andererseits haben aber viele Länder streng limitierte Zeitfenster, in denen Reisen international möglich ist.“ Auch Carlo Speth, Reiseexperte vom Online-Portal „Urlaubspiraten“ sieht die Ursache vor allem in den geregelten Urlaubszeiten: „In Spanien und Italien zum Beispiel können die Leute vor allem im Juli und August reisen, was sie auch gerne im Inland tun. Das macht die beliebten Urlaubsorte auch voller.“
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Speth ist überzeugt: Für den Massentourismus brauchen wir eine europäische Lösung. „Spanien, Italien und die Türkei werden auch weiterhin die High-Performer bleiben. Das liegt nicht nur daran, dass sie sehr beliebte Urlaubsziele sind, sondern auch daran, dass diese Länder die Kapazitäten für große Menschenmassen haben“, sagt der Branchenexperte. Und genau dort müsse man ansetzen.
Das sieht auch Tourismusforscher Pillmayer so: „Das Problem an vielen Orten, die von Massentourismus betroffen sind, liegt auch an der Kommunikation mit und der Einbindung von Einheimischen.“ Es gehe darum, die Bewohner mitzunehmen, wenn über die touristische Infrastruktur im Ort entschieden wird, statt über ihren Kopf hinweg zu regieren. Eine Pauschallösung gegen Massentourismus gebe es allerdings nicht. „Bei dem einen kann man die Besucherströme tatsächlich über den Preis regulieren, beim nächsten ist es eine Kontingentierung oder ein anderes Besuchermanagement in Form von digitaler Lenkung.“
Bewusster konsumieren – auch auf Reisen
Beide Experten sind sich aber in einem Punkt einig: Es hängt auch von den Konsumenten – von uns Reisenden – ab, wie sich der Massentourismus in Zukunft entwickeln wird. Es gehe nicht um die Frage, ob wir reisen, sondern um die Art und Weise wie. „Ich glaube, es geht auch darum, Bewusstsein für Konsum zu schaffen. Man sollte sich als Reisender fragen, wie man den Einheimischen etwas zurückgeben kann“, sagt Speth. Selbst bei einer Pauschalreise könne man einen Beitrag zur örtlichen Wertschöpfung leisten, indem man lokale Anbieter wählt.
Was wir bei all der berechtigten Kritik an überfüllten Orten nicht vergessen dürfen, ist der Zwiespalt für viele Menschen vor Ort. Denn Tourismus ist oft ein tragender Wirtschaftszweig, auf den die Gemeinden nicht ohne Weiteres verzichten können oder wollen. „Eine Destination wegen zu vieler Touristen komplett zu meiden, kann deshalb auch nicht die Lösung sein“, resümiert Pillmayer. Man brauche stattdessen eine Sensibilisierung von Touristen für die Lebenswelt, die sie besuchen. Nur so könnten wir uns einem respektvolleren Umgang mit den Einheimischen und der Umwelt annähern. Und dieser sei dringend notwendig.
Eines macht Tourismusforscher Pillmayer im Gespräch mit dem stern besonders klar: „Wir sollten nicht naiv sein: Massentourismus wird es immer in irgendeiner Form geben.“ Es liegt aber in der Hand von Anbietern, Regierungen und auch uns Reisenden selbst, wie genau sich diese Form von Tourismus in Zukunft auf unser globales Zusammenleben auswirkt.“
Quellen: Hochschule München, Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes, Flughafenverband ACI, Urlaubspiraten