Nicht nur deutlich mehr Gewalttaten hat die Polizei im vergangenen Jahr registriert, auch die Zahl der Wohnungseinbrüche schießt durch die Decke. Warum? Eine Spurensuche.
Georg Maier ist erkältet, aber der Thüringer Innenminister wolle nicht jammern, sagt er tapfer am Telefon. Der SPD-Politiker kommt sowieso nicht zur Ruhe, auch ihn beschäftigen die neuen Zahlen zur Kriminalität in Deutschland und speziell in seinem Bundesland. Ein Aspekt wirft dabei Fragen auf, auch bei ihm.
In der Diskussion um deutlich mehr Gewaltkriminalität ist eine Entwicklung nahezu untergangen, die das allgemeine Sicherheitsgefühl mindestens genauso streift: Die Zahl der Wohnungseinbrüche schießt durch die Decke.
„Es gibt einen Zusammenhang zwischen Krise und Kriminalität, bei der oft auch materielle Dinge eine Rolle spielen“, sagt Maier allgemein zum stern. „Das allein erklärt das Phänomen der steigenden Wohnungseinbrüche aber noch nicht.“ Die nähere Auswertung läuft noch, sagt er. Doch er ist alarmiert.
Bundesweit wurden 2023 knapp 78.000 Fälle von Wohnungseinbruchdiebstahl, wie es im Fachjargon heißt, von der Polizei erfasst. Es ist einer von mehreren „auffälligen Anstiegen“, die BKA-Präsident Holger Münch bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) am Dienstag ausgemacht hat.
Einmal im Jahr schlüsselt die Statistik umfangreich auf, welche Straftaten in Deutschland wie häufig angezeigt wurden und sich mögliche Trends daraus ableiten lassen – wenngleich die Zahlen stets differenziert und im Kontext gelesen werden sollten. So werden etwa alle von der Polizei bearbeiteten Straftaten in der Statistik erfasst, auch jene, bei denen es lediglich beim strafrechtlich relevanten Versuch geblieben ist.
In der gesamten Bundesrepublik hat es demnach 18,1 Prozent mehr Wohnungseinbruchsdelikte gegeben als noch im Vorjahr 2022. Doch, wandte BKA-Chef Münch ein: Da 2023 das erste Jahr gewesen sei, in dem es keine Einschränkungen infolge der Corona-Pandemie gegeben habe – also auch Einbrecher wieder mobiler sein konnten –, sei es „klug“ einen Vergleich mit dem Vor-Corona-Jahr 2019 zu ziehen. Damals wurden 87.145 Delikte (-10,7 Prozent) registriert, die aktuellen Zahlen sind also theoretisch besser geworden und nicht sprunghaft angestiegen, wie man durchaus erwarten konnte. Zumindest im bundesweiten Durchschnitt.
Kriminalstatistik 2023: „Steigende Wohnungseinbrüche ein besonderer Imperativ zu handeln“
Ein individueller Blick auf die einzelnen Bundesländer zeigt, dass die Corona-Prämisse nicht überall gilt. In Berlin ist die Zahl von erfassten Wohnraumeinbrüchen zum Vorjahr um 35 Prozent gestiegen, speziell Einbrüche in Wohnungen stiegen um 42,1 Prozent (und 16,5 Prozent bei Villen/Einfamilienhäusern). Damit gehört die Bundeshauptstadt zu den unrühmlichen Spitzenreitern im Ländervergleich. Auch im Vor-Corona-Jahr 2019 wurden weniger Delikte gezählt. Die detaillierten Gründe dafür werden gerade analysiert, wie zu hören ist.
Ähnlich verhält es sich in Thüringen, wo sich der verschnupfte Innenminister Maier mit den neuen Erkenntnissen beschäftigt. Auch dort wurde ein deutlicher Anstieg (+40,9 Prozent) bei Diebstählen in/aus Wohnungen im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet, ebenso zum Vor-Corona-Jahr 2019. „Die Zahlen zu den Wohnungseinbrüchen umfassen auch die Einbruchsversuche“, erklärt Maier zur Einordnung. „Heißt: In 50 Prozent der Fälle ist der Einbruch ein Versuch geblieben, weil etwa die Tür nicht aufgehebelt werden konnte.“ Ein Grund dafür könnte sein, dass die Thüringer ihre vier Wände mit Sicherheitstechnik aufgerüstet hätten, etwa durch einbruchssichere Fenster oder Haustürschlösser. „Das macht es allerdings nicht unbedingt besser“, findet Maier. Auch der schiere Versuch eines Einbruchs hinterlässt bei Betroffenen ein Schockgefühl.
Auch vor diesem „insgesamt durchwachsenen Bild“ mahnt Maier: Einbruchsversuche müssen ebenfalls schonungslos verhindert und aufgeklärt werden. „Für uns Politiker sind steigende Wohnungseinbrüche ein besonderer Imperativ zu handeln“, meint der langjährige Landespolitiker. Bei einem Einbruch werde tief in die Privatsphäre eingedrungen. „Es geht dabei nicht nur um Gegenstände, sondern um ein Unsicherheitsgefühl, mit denen Menschen konfrontiert sind.“ Werde ich selbst einmal betroffen sein? Oder schon wieder? Diese Sorgen müsse man ernstnehmen, sagt er.
Nicht nur Thüringens Innenminister sieht einen Zusammenhang zwischen gestiegenen Preisen durch die Inflation und Eigentumsdelikten. Auch sein nordrhein-westfälischer Amtskollege Herbert Reul von der CDU geht davon aus, dass finanzielle Sorgen und Nöte die Hemmschwelle sinken lassen könnten, etwas mitgehen zu lassen. Das alles könne ein Tatmotiv sein, sagte er bei der Vorstellung seiner Landeszahlen. Auch in NRW wurden 15 Prozent mehr Wohnungseinbruchsdiebstähle erfasst als noch 2022 (aber etwas weniger als 2019). Auch hier: In 47 Prozent sei es beim Versuch geblieben.
Laut Reul seien Einbrüche ein Geschäftsmodell organisierter Banden aus Südosteuropa, deren Route auch an Rhein und Ruhr vorbeiführe. Weiter östlich in Thüringen hingegen ist offenbar eine Verschiebung zu beobachten. In der Vergangenheit habe man große Erfolge bei der Bekämpfung von Diebstählen in Gruppen erzielt, die sich im gesamten Land bewegt hätten. „Durch gewisse Verhaltensmuster konnten wir gut nachvollziehen, wo diese Gruppen erneut zuschlagen könnten“, sagt SPD-Mann Maier, beispielsweise in der Nähe zu Autobahnen – ein dankbarer Fluchtweg für Täter. „Jetzt müssen wir feststellen, dass Wohnungsdiebe vermehrt lokale Täter sind.“ Also: Diebe, die in ihrer eigenen Stadt stehlen. Beschaffungskriminalität sei hier ein sehr häufiges Motiv. Also wenn zum Beispiel etwas geklaut wird, um es zu verkaufen und Drogen damit zu finanzieren.
Sowohl Bund als auch Länder dürften noch eine Weile mit der Exegese der Zahlen beschäftigt sein und ihren Schlussfolgerungen, die sie daraus ziehen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD kündigte ein konsequenteres Vorgehen gegen Straftäterinnen und Straftäter an. Diese müssten „die Konsequenzen ihres Handelns spüren – und zwar schnell“, sagte sie.