Das Bundesverfassungsgericht will leiblichen Vätern mehr Rechte geben, wenn sie sich um ihre Kinder kümmern möchten. Das berührt auch die Frage nach Vaterschaftstests – und die Anzahl möglicher Elternteile.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 9. April 2024 in einem Urteil entschieden, die Rechte biologischer („leiblicher“) Väter in getrennt lebenden Familien zu stärken. Demnach ist es künftig nicht mehr ausgeschlossen, dass ein Kind vor dem Gesetz eine Mutter, aber zwei Väter hat: den getrennt lebenden leiblichen Vater und den gesetzlich als Vater eingetragenen Mann, mit dem die Mutter zusammenlebt.
Bisher war das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung davon ausgegangen, dass es nur zwei rechtliche Eltern geben kann. Außerdem soll es für biologische Väter in Zukunft einfacher werden, die gesetzliche Vaterschaft eines anderen Mannes vor Gericht anzufechten. Allerdings besagt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch nicht, dass der biologische und der gesetzliche Vater künftig die gleichen Rechte haben, etwa beim Umgangsrecht mit dem Kind.
In seinem Urteil gab das Bundesverfassungsgericht einem Vater aus Sachsen-Anhalt teilweise Recht: Er lebt getrennt von der Mutter und wollte vor dem Gesetz als Vater seines biologischen Sohnes, 3, gelten. Dazu hatte der Mann beantragt, seine Vaterschaft feststellen zu lassen. Doch die Mutter ließ trotz des laufenden Antrags ihren neuen Lebensgefährten als Vater eintragen. Am Ende des langwierigen Gerichtsverfahrens wurde der Antrag des biologischen Vaters vom Oberlandesgericht Naumburg abgelehnt. Ein Grund dafür ist, dass in Deutschland eine gesetzliche Vaterschaft bisher nur schwer angefochten werden kann, wenn der rechtliche Vater in einer Familie mit dem Kind zusammenlebt und bereits eine Beziehung zum Kind aufgebaut hat. Gerichte beriefen sich dabei unter anderem auf das Kindeswohl, das durch mehrere Väter und Rollenkonflikte gefährdet sein könnte. Der Fall aus Sachsen-Anhalt soll nun noch einmal neu verhandelt werden.
Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann will schon länger die Rechte leiblicher Väter stärken und legte im Januar Eckpunkte für einen Gesetzentwurf vor. Eine Neuerung darin soll eine Art Sperrklausel sein: Möchte ein Mann seine biologische Vaterschaft nachweisen, darf in der Zeit das laufenden Gerichtsverfahrens kein anderer Mann ein Kind als gesetzlicher Vater anerkennen. Zuerst muss die biologische Vaterschaft geklärt werden.
Wann darf ein Vaterschaftstest beantragt werden?
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist Vater eines Kindes derjenige Mann, der entweder zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist oder die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft von einem Gericht festgestellt wurde. Grundlage für letzteres ist ein Vaterschaftstest auf Basis einer DNA-Analyse. Wichtige Gründe für eine solche Untersuchung sind Zweifel von Vater oder Mutter an der Vaterschaft, Erbfälle und Unterhaltsforderungen oder die Suche nach dem biologischen Vater eines Kindes, etwa nach einer Adoption. Auch bei einem Familiennachzug aus dem Ausland kann eine Behörde einen Abstammungstest verlangen, bevor sie eine Aufenthaltserlaubnis erteilt.
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Verlangen können den Test die rechtlichen Väter, die Mütter oder Kinder. Allerdings gilt ein Vaterschaftstest wegen der damit verbundenen Erbgut-Analyse als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, daher müssen alle Beteiligten (bei Minderjährigen alle Sorgeberechtigten) dem Test schriftlich zugestimmt haben. Mit einer Ausnahme: Ein mutmaßlicher biologischer Vater kann normalerweise nicht zu einem Vaterschaftstest gezwungen werden.
Heimlich darf eine Vaterschaftsanalyse niemals durchgeführt werden. Ein heimlicher Test gilt als Ordnungswidrigkeit und kann mit einem Bußgeld von bis zu 5000 Euro bestraft werden. Auch dem Labor droht eine Strafe, zudem hat der Test vor Gericht keinen Bestand.
Ein Sonderfall ist der pränatale Vaterschaftstest vor Geburt eines Kindes. Er kann bei schweren Straftaten angeordnet werden, etwa nach einer Vergewaltigung der Mutter. Dann wird Fruchtwasser oder eine Probe aus dem Mutterkuchen entnommen, um daraus Zellen und Erbgutstückchen des Kindes zu gewinnen und sie mit der DNA des potenziellen Täters und Vaters abzugleichen.
Wie funktioniert ein Vaterschaftstest und wie zuverlässig ist er?
Normalerweise wird mit einem Stäbchen ein Abstrich von der Mundschleimhaut genommen, um Zellen und Erbgut zu gewinnen. Im Labor wird die DNA aus den Zellen isoliert. Dann werden auf den langen Erbgutsträngen bestimmte kurze und sich wiederholende Gen-Abschnitte herausgesucht, so genannte „Short Tandem Repeats“. Sie werden vervielfältigt, eingefärbt und dann wird deren Länge bestimmt. Wie oft diese Schnipsel hintereinander auf den Erbgutsträngen liegen, wird größtenteils von den Eltern vererbt. Anhand der Länge der sich wiederholenden Abschnitte lässt sich daher auch die Abstammung eines Kindes vom Vater klären.
Je mehr Erbgut-Abschnitte beim Test betrachtet werden (oft sind es um die 15), desto zuverlässiger wird die Aussage. Auch wenn Erbgut von Vater und Mutter vorliegt, steigt die Genauigkeit, weil dann nachvollzogen kann, welche Schnipsel von der Mutter und welche vom Vater vererbt wurden.
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Die Kosten für einen Test liegen bei bis zu mehreren 100 Euro, es wird tendenziell teurer, wenn der Test auch vor Gericht verwertet werden soll. Das Ergebnis liegt meist nach wenigen Tagen vor. Findet sich keiner der typischen Wiederholungsabschnitte vom Vater beim Kind, kann eine Vaterschaft zu 100 Prozent ausgeschlossen werden. Gibt es viele Übereinstimmungen zwischen Kind und Vater, wird daraus eine Wahrscheinlichkeit berechnet. Ab 99,999 Prozent Wahrscheinlichkeit gilt eine Vaterschaft als bewiesen.
Warum war die bisherige Rechtssituation oft problematisch?
Bekommt eine Frau ein Kind, ist sie die leibliche und automatisch auch die rechtliche Mutter. In einer Ehe ist der Ehepartner automatisch rechtlicher Vater, selbst wenn das Kind mit einem anderen Mann gezeugt wurde. Wenn das Paar zum Zeitpunkt der Geburt nicht verheiratet war, kann die Frage komplizierter sein: In diesem Fall gilt der leibliche Vater nicht automatisch auch als rechtlicher Vater. Er muss die Vaterschaft in diesem Fall anerkennen. Außerdem kann eine Vaterschaft gerichtlich festgestellt werden.
Besonders schwierig ist die Rechtslage für biologische Väter, die sich um ihre Kinder kümmern möchten, aber nicht mehr mit der Mutter zusammenleben. Für sie kann es schwierig werden, vor Gericht ihre Vaterschaft feststellen zu lassen, etwa, wenn die Mutter bereits den neuen Lebensgefährten als Vater bestimmt hat oder einer biologischen Vaterschaftsfeststellung nicht zustimmt. Besonders in Trennungssituationen können diese Regelungen zu Problemen führen, was sowohl für nicht-verheiratete, als auch für verheiratete Paare gilt.
Lässt sich ein Vaterschaftstest manipulieren?
Auf jeden Fall, und die Rechtsgeschichte ist voll von entsprechenden Versuchen: Mal präsentierte eine Mutter ein falsches Kind beim Test, mal schickte ein Mann seinen Bruder zum Abstrich, ein anderer hatte sogar versucht, sich fremde DNA in den Mund zu schmieren. Allerdings wurden viele erwischt. Denkbar ist auch, dass Probestäbchen bei der Entnahme mit fremder DNA verunreinigt oder danach vertauscht werden (was allerdings heute schwierig ist, weil die Teströhrchen im Labor einen Code erhalten).
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Grundsätzlich empfiehlt es sich – insbesondere bei bereits schwelenden Familienstreitigkeiten – den Mundabstrich immer in Anwesenheit von Zeugen zu nehmen, oft ist das das medizinische Personal, manchmal auch zum Beispiel ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin des Jugendamtes.
Was bedeutet es für Kinder, wenn plötzlich zwei Väter da sind?
Das ist unklar. Bisher folgte die Rechtsprechung in Deutschland dem eher konservativen Ansatz, dass es nur zwei Eltern geben könne, um das Kindeswohl zu schützen. Dahinter stand der Gedanke, dass es bei mehr als zwei Elternteilen zu Streitigkeiten, Rollenkonflikten und Kompetenzgerangel kommen könnte, etwa zwischen dem biologischen und dem gesetzlichen Vater. Diese Vorstellung darf aber in einem Land mit Millionen Patchworkfamilien und unzähligen verschiedenen Eltern-Konstellationen inzwischen als überholt und umstritten gelten.
Zudem gibt es offenbar keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege, dass Kinder unter mehr als zwei Elternteilen leiden würden: Auch im Verfahren des biologischen Vaters aus Sachsen-Anhalt, der Verfassungsbeschwerde eingelegt hatte, kamen mehrere Sachverständige zu Wort, die befragt wurden, ob es für ein Kind problematisch sei, wenn es mehr als zwei Eltern hat. Diese Frage konnte allerdings im Verfahren nicht eindeutig beantwortet werden.