Altkanzler Gerhard Schröder feiert seinen 80. Geburtstag. „Wir machen eine schöne Feier und laden Leute ein“, sagt der einstige Politstar.
Schlecht sieht er wirklich nicht aus, das muss man ihm lassen. Jedenfalls nicht wie einer auf dem absteigenden Ast, mit nach unten gezogenen Mundwinkeln. Kantige Gesichtsarchitektur – so könnte man seinen Charakterkopf beschreiben. Energisches Kinn, trotzig gesträubte Brauen, voller, leicht graumelierter Haarwuchs, über dessen Farbechtheit einst bis zum Bundesverfassungsgericht gestritten wurde.
Diese Zeiten sind vorüber, ein Prozess übers Haare färben würde selbst beim robusten Gerhard Schröder der Würde des Alters widersprechen, denn hier ist von einem deutschen Altkanzler die Rede. Am 7. April feiert er seinen 80. Geburtstag.
Ein Mann der Frauen – zum fünften Mal verheiratet
Er mag vielleicht nicht mehr so oft wie früher lächeln, doch bisweilen huscht es noch über sein Gesicht und nur ein bisschen spöttisch, dass es einem wieder gegenwärtig wird: Dieser Schröder war/ist durchaus ein Mann der Frauen; schließlich ist er zum fünften Mal verheiratet.
Das Lächeln hat jüngst die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) eingehender beschrieben: „Zu den Markenzeichen von Gerhard Schröder gehört ein leichtes, sarkastisches Grinsen, das gelegentlich als Wolfslächeln bezeichnet wurde und ein wenig an Hildegard Knef und ihr Lied vom alternden Raubtier erinnert: Der alte Wolf wird langsam grau; doch er ist zäh und er ist schlau. Noch beißt er junge Wölfe weg, noch haben die vor ihm Respekt …“
Neue ARD-Doku zeigt den jungen und den alten Schröder
Das An- und Zupackende, das ihm zu eigen war, hat sich nicht in Altersmilde verflüchtigt, ebenso wenig sein grandioses Selbstbewusstsein sowie seine rustikale Spurtreue und Standfestigkeit, die ihn in höchste Ämter geführt haben. Er wirkt immer noch wie der unbeirr- und unbelehrbare Macher, und wenn es nur für sich selbst ist.
Anlässlich seines 80. Geburtstags hat der NDR die einstündige Doku „Außer Dienst? Unterwegs mit Gerhard Schröder“ produziert. Ausgestrahlt wird sie am 8. April um 21 Uhr, in der ARD-Mediathek ist sie bereits abrufbar. Sie zeigt den alten jungen und alten aktuellen Schröder.
Unbedingter Wille zum Sieg
„Acker“ haben sie ihn früher auf dem Fußballfeld genannt. Er spielte Mittelstürmer bei seinem Heimatverein TuS Talle im westfälischen Lippe-Kreis, ein gedrungener Kicker, der immer alles gab, der ackerte und seine Tore schoss. Mit „Acker“ Schröder stieg der TuS Talle in die Bezirksliga auf, das letzte Spiel gewann man mit 5:2, „Acker“ erzielte alle fünf Treffer seines Vereins.
Dieser unbedingte Wille zum Sieg hat ihn geprägt. Seine Familie habe zu den „Ärmsten der Armen“ gezählt, „wir waren die Asozialen“, hat er mal gesagt. Der Vater war 1944 als Soldat gefallen, die Familie auf Sozialhilfe angewiesen. Nach Abschluss der Volksschule machte er eine Kaufmannslehre und arbeitete in einer Eisenwarenhandlung. Daneben besuchte er die Abendschule und holte das Abitur nach. Dann studierte er Jura und ließ sich nach seinem zweiten Staatsexamen (1976) als Rechtsanwalt in Hannover nieder.
Mit der gleichen Zielstrebigkeit machte er in der Partei Karriere. Nach seinem Eintritt in die SPD (1963) wurde er 1971 Juso-Chef im Bezirk Hannover, und 1978 errang er den Bundesvorsitz der Jugendorganisation der SPD. Aus dieser Zeit stammt die hübsche Anekdote vom Juso-Vorsitzenden Schröder, der angeblich nachts an den Gitterstäben des Kanzleramts – damals noch in Bonn – gerüttelt und dabei ausgerufen haben soll: „Ich will hier rein!“
Sieben Jahre Bundeskanzler
Und er kam rein. Nach zwei Legislaturperioden als Ministerpräsident von Niedersachsen (1990-1998) wurde er 1998 nach über 16 Jahren Helmut Kohl (CDU) Bundeskanzler. Sieben Jahre regierte er bis 2005 Deutschland.
In seine Ära fielen der spektakuläre Rücktritt des Parteifreundes und Intimfeindes Oskar Lafontaine (80) als Finanzminister (1999), das konsequente (und historisch verdienstvolle) Nein zu einer Beteiligung am Irak-Krieg vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush (77) und mit der Agenda 2010 eine Reform des Arbeitsmarktes, die ihm eine leidenschaftliche Ablehnung innerhalb der SPD als „Genosse der Bosse“ eintrug, die aber zum Erfolg der nachfolgenden Regierung von Angela Merkel (69, CDU) beitrug.
Eigentlich hätte er sich nach seiner Abwahl von 2005 zurücklehnen und als weithin geachteter Elder Statesman auf die Lorbeeren seiner Arbeit verweisen können. Aber Schröder ist eben Schröder, und aus dem Gerhard, dem die SPD-Genossen seine Vorliebe für Brioni-Anzüge, kubanische Zigarren und erstklassige Rotweine zähneknirschend nachsahen, weil er als einer der ihren die seltene Gabe des politischen Charismas hatte, wurde der „Gas-Gerd“.
Putin-Freund und Lobbyist der russischen Energiewirtschaft
Schröder wurde Lobbyist der russischen Energiewirtschaft inklusive enger Freundschaft zum russischen Präsidenten Wladimir Putin (71), von dem er sich selbst nach dessen Ukraine-Überfall, den er für eine „fatale Fehlentscheidung“ hält, nicht lossagen will. „So gerät immer rascher in Vergessenheit, dass er ein bedeutender Bundeskanzler war“, schreibt die SZ. Selbst Wohlwollende sind entsetzt, wie vehement Schröder das System Putin in Schutz nimmt und etwa in der ARD-Doku sagt: „Es gibt freie Wahlen, das kann man nicht bestreiten.“
Das ist vielen unerträglich: Das Berliner Szene-Lokal „Ständige Vertretung“ hat sein „Altkanzlerfilet“ von der Speisekarte gestrichen, auch das Foto des einstigen Kanzlers wurde abgehängt. Vom Wirt des „Norderneyer Brauhaus“ bekam er Lokalverbot, „aus Prinzip“. Die Ehrenmitgliedschaft des Fußballvereins Borussia Dortmund und des DFB wurde ihm entzogen, die von Hannover 96 gab er freiwillig zurück, ebenso die Ehrenbürgerwürde der Stadt Hannover, bevor sie ihm aberkannt werden konnte.
Parteiausschlussverfahren gescheitert
Ein Parteiausschlussverfahren ist letztendlich gescheitert, SPD-Politiker wie Karl Lauterbach (61) beklagen, man müsse sich für das SPD-Mitglied Gerhard Schröder schämen. Der ehemalige Vorsitzende (1999-2004) keilt zurück, spricht von einer Parteiführung, die er „nur begrenzt politisch ernst“ nehmen könne und bezeichnet Generalsekretär Kevin Kühnert (34) als „armen Wicht“.
Trotzdem glaubt Schröder laut „Bild“, er sei in seiner Partei „nicht isoliert“, auch wenn die alles getan habe, um ihn rauszuschmeißen, seine Fotos von der SPD-Webseite zu tilgen, ihm jede Ehrung zu verweigern. Doch an der Basis habe er bis heute Bewunderer. Er glaube, „dass ich immer noch in der Mitte der Sozialdemokratie lebe“. Das wolle er „auch weitermachen“.
Seinen 60. Geburtstag feierte er noch wie ein Rockstar
Wie sehr Schröders Ansehen gelitten hat, zeigen auch die Unterschiede der Feierlichkeiten zu seinen runden Geburtstagen. Seinen 60. feierte er noch wie ein Rockstar. Er lud in ein Theater in Hannover ein: Nobelpreisträger Günter Grass (1927-2015), Daimler-Chef Jürgen Schrempp (79) und fast das gesamte Bundeskabinett kamen – und Wladimir Putin. Der brachte als Geschenk einen Kosakenchor aus Moskau mit.
Zu Schröders 70. Geburtstag kamen auf Einladung der Bankengruppe Rothschild noch prominente Vertreter der deutschen Wirtschaft wie der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Jürgen Fitschen (75). Teil zwei feierte der Altkanzler mit seinem Freund Putin im Jussupow-Palais in der einstigen Zarenhauptstadt St. Petersburg.
Und der 80. Geburtstag? Seine koreanische Frau Soyeon Schröder-Kim (56) will eine Feier in Berlin organisieren, Gästeliste und Ort sind noch geheim. Sein Geburtstag hänge nicht davon ab, „von wem ich ’nen Gratulationsbrief kriege. Wir machen eine schöne Feier und laden Leute ein“, sagt Schröder trotzig. Mit Oskar Lafontaine hat er sich vergangenes Jahr zu dessen 80. versöhnt.
Nur eine Sache hängt ihm nach: „Was mich am meisten getroffen hat, und das finde ich wirklich bedauerlich, das war Steinmeier.“ Der Bundespräsident habe erklärt, er würde dem umstrittenen Altkanzler nicht mehr zum Geburtstag gratulieren. Das mache man nicht, sagt Schröder. Schließlich verdankt Frank-Walter Steinmeier (68) seinen politischen Aufstieg vor allem Schröder, der ihn 1999 zu seinem Chef des Kanzleramts gemacht hatte.
Hochzeitsversprechen: 30 gemeinsame Jahre
Schröders fünfte Ehefrau Soyeon, mit der er seit sechs Jahren verheiratet ist, spielt jetzt die Hauptrolle in seinem Leben. Er habe ihr bei der Hochzeit „30 gemeinsame Jahre versprechen müssen“, sagte sie in einem Interview. 24 Jahre haben sie noch vor sich. Damit er die schafft, hat ihm Soyeon gesundes Essen verordnet, sprich: volle Umstellung. Brötchen und Butter sind gestrichen, auch Bier und Rotwein, Schnitzel und die geliebte Currywurst sowieso. Die alte Schröder’sche Lebensqualität ist beim Teufel.
In Hildegard Knefs (1925-2002) Lied vom alten Wolf heißt es in der letzten Strophe, er heule „nur noch Moll: Er hat von hier und da und dort die Schnauze voll“. Der neue alte Schröder heult nicht, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Er kann noch die Zähne fletschen und auch noch beißen. Wie das alte Wölfe tun, wenn sie einsam werden.