4000 Prozesse in 50 Jahren haben Donald Trump zu einem Gerichtsprofi gemacht. Jetzt, wo einige Klagen seine persönliche Zukunft bedrohen, laufen er und seine Anwälte zur Hochform auf. Mit dreckigen Tricks behindern sie die Verfahren, wo es nur geht.

Die ganze Essenz ihres Geschäftspartners Donald Trump bekamen Andy Litinsky und Wes Moss kurz vor Ostern zu spüren: Am 24. März verklagte der wahlkämpfende Ex-US-Präsident mal eben die Mitgründer genau der Firma, mit der er zwei Tage später, am 26. März, an die Börse ging. In der Klageschrift ist nebulös die Rede von „spektakulärem Scheitern“, sogar die Sabotage des Börsengangs wirft Trump ihnen vor. 

Streitwert: Unternehmensanteile in Höhe von 606 Millionen US-Dollar.

Warum reden, wenn man auch klagen kann?

Zwar hatten Litinsky und Moss, zwei frühere Kandidaten aus Trumps TV-Show „The Apprentice“, ihn im Februar zuerst verklagt, doch darauf nimmt Trumps Gegenangriff keinen Bezug. Worum also geht es dem klammen Immobilienmogul? Um das Prinzip? Um Geld? Um die alleinige Macht in der Holding seiner Social-Media-Plattform „Truth Social“? Vermutlich um alles. Der schnelle Gang vor Gericht ist Trump eine Art Verhandlungstaktik, eine Waffe, um Gegner wie Partner einzuschüchtern und mürbe zu machen. Warum reden, wenn man auch klagen kann?

Trump einen notorischen Streithammel zu nennen, wäre untertrieben. Die Liste seiner Klagen und Prozesse ist etwa so lang, wie der Trump-Tower hoch ist: Mehr als 4000 Mal hat er in seinem Leben Richter aller Fachrichtungen beschäftigt – als Geschäfts- und Privatmann ebenso wie als Ex-US-Präsident. Es dürfte nicht viele Tricks geben, die ihm und seinem Anwälteteam unbekannt sind oder die sie nicht schon selbst genutzt haben. 

STERN PAID Trump Möglicher Wahlsieg

Jetzt, im Wahlkampf-Frühling 2024, ist der Moment gekommen, die Erfahrung aus Jahrzehnten voller Winkelzüge auszuspielen. Gelegenheiten dazu hat er viele: In New York ist er wegen einer Schweigegeldzahlung an den Pornostar Stormy Daniels angeklagt, in Washington unter anderem wegen dem Kapitol-Sturm vom 6. Januar 2021, in Atlanta, Georgia wegen versuchtem Wahlbetrug und in Fort Pierce, Florida muss sich Trump wegen der Dokumentenaffäre verantworten.

Vier Prozesse von unterschiedlich schwerer Tragweite, die nach bisherigen Erfahrungen kaum nachteiligen Einfluss auf Trumps Chancen bei den Präsidentschaftswahlen im November haben dürften. Dennoch lassen er und seine Anwälte nichts unversucht, die Verfahren zu torpedieren – persönliche Fouls auf Prozessbeteiligte inklusive.

So trickst Donald Trump

Georgia: Die Anklage in dem Südstaat begann bereits spektakulär, weil der Ex-Präsident dort im Gefängnis vorsprechen musste und bei der Gelegenheit die ersten Polizeibilder eines früheren US-Staatsoberhaupts entstanden. Das Verfahren sollte ersten Planungen zufolge im August stattfinden, doch dann rückte plötzlich ein Mitangeklagter Trumps das Privatleben von Staatsanwältin Fani Willis in den Mittelpunkt. 

Die Chefanklägerin hatte sich unvorsichtigerweise mit Nathan Wade, dem Sonderermittler in dem Fall eingelassen. Das allein stelle bereits einen Interessenskonflikt dar, so Trumps Anwälte. Zudem soll das Paar mit dem Honorar, das sie ihm qua Amt hat zukommen lassen, Luxusurlaube in der Karibik verbracht haben. Die Konsequenz könne nur der Rücktritt Willis und das Fallenlassen der Klage gegen Trump sein, so seine Verteidiger.

Im Februar saß die Staatsanwältin dann selbst vor Richter Scott McAfee und ließ sich von ihm in der Sache verhören. Mitte März urteilte McAfee: Ja, es seien „enorme Fehler“ gemacht wurden, und nur einer der beiden dürfe an dem Fall weiterarbeiten. Wade nahm daraufhin seinen Hut – „im Interesse der Demokratie“, wie er sagte. Zuletzt wies McAfee einen Antrag der Verteidigung ab, das Verfahren mit dem Verweis auf das Recht auf Meinungsfreiheit einzustellen.

Trump scheitert mit Antrag auf Verfahrenseinstellung in Georgia 08.05

New York: Über die persönliche Schiene versuchen Trump und seine Anwälte auch Druck auf Richter Juan Merchan auszuüben, der im Fall der Schweigegeldzahlungen urteilen muss. Hier ist Tochter Loren Merchan in Trumps Visier geraten. Tagelang hat er sie über „Truth Social“ angegriffen: Sie sei „eine fanatische Trump-Hasserin, die zugegeben hat, mit ihrem Vater über mich zu sprechen und mir einen Maulkorb verpassen will“, schrieb er unter anderem. 

Loren Merchan ist Chefin einer PR-Agentur, die Kampagnen für linke und demokratische Politiker macht. In den sozialen Medien postete sie offenbar auch Bilder, auf denen Trump als Häftling dargestellt ist. Eine Anhängerin des Ex-Präsidenten ist sie wohl kaum. Trumps Verteidiger leiten davon das Recht ab, die Richtertochter öffentlich attackieren zu dürfen, wie sie das Gericht wissen ließen.Infobox US-Wahl-NL

Vorausgegangen war eine so genannte Gag-Order, die es Prozessteilnehmern verbietet, sich über andere Prozessbeteiligte öffentlich zu äußern. Damit soll verhindert werden, dass Angeklagte Druck ausüben oder, schlimmer, Zeugen bedrohen. Trump hatte in anderen Fällen bereits solche Maulkörbe kassiert. Juan Merchan weitete die Schweigeverfügung zuletzt auf seine Familie aus – trotz juristischer Bedenken. Gut möglich, dass Trumps Leute dies Rechtsunsicherheit ausnutzen, um die Gag-Order prüfen zu lassen.

Mit einem anderen Versuch, den Prozess zu vertagen ist der Ex-Präsident aber erstmal gescheitert. So lehnte Richter Merchan einen Antrag ab, den Verhandlungsbeginn um drei Monate zu verschieben. Trump wolle zunächst ein mit Spannung erwartetes Urteil des Verfassungsgerichts abwarten, in dem die obersten Richter klären, ob er als US-Präsident Immunität vor Strafverfolgung genieße. Sollte die Antwort Ja lauten, könnte sie das Aus für diese oder sogar alle Prozesse gegen ihn bedeuten. Bis es soweit ist, bleibt es beim geplanten Prozessbeginn am 15. April.

Steht die gefährlichste Klage vor dem Aus?

Washington DC.: Mit Hilfe eines im Grunde simplen juristischen Kniffs ist es den Trump-Verteidigern gelungen, die wohl gefährlichste Anklage zu entschärfen – vielleicht sogar ganz abzuräumen. In der US-Hauptstadt muss sich der Ex-Präsident für seine Rolle beim Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 sowie wegen möglicher Wahlbeeinflussung verantworten. Trump hatte seine Wahlniederlage damals nicht anerkannt und auf verschiedenen Wegen versucht, das Ergebnis zu kippen. Sollte er in diesem beispiellosen Verfahren verurteilt werden, droht ihm eine jahre-, wenn nicht jahrzehntelange Haftstrafe.

Auch in diesen Fall hat Trump tief im Trickkasten gewühlt und sowohl Richterin Tanya Chutkan als auch Sonderermittler und Chefankläger Jack Smith persönlich angegriffen: Sie schmähte er als Sproß einer „Marxisten-Familie“, Smith und dessen Frau wiederum unterstellte er, ihn, also Trump, zu verabscheuen. Wegen solcher Anfeindungen verpasste auch Chutkan dem früheren Staatsoberhaupt einen Maulkorb. Doch Trumps Eilantrag vor dem höchsten US-Gericht war schließlich effizienter als seine verbalen Entgleisungen.

Vom Supreme Court wollen die Angeklagten wissen, ob Trump als US-Präsident immun gegen Strafverfolgung sei. Ihrer Ansicht nach könne er rechtlich nicht für Taten belangt werden, die zu seinen Pflichten als Staatsoberhaupt gehörten. Die Verfassungsrichter wollen Ende April mit der entsprechenden Anhörung beginnen, das Urteil dürfte erst im Frühsommer fallen. Bestätigt der oberste Gerichtshof die Argumente von Trumps Rechtsanwälten, wäre der Washingtoner Prozess geplatzt. Falls nicht, ist unsicher, ob das Verfahren vor der Präsidentschaftswahl im November abgeschlossen werden wird.NEU FS Trumps juristische Probleme 16.07
 

Die Angst des Sonderermittlers

Das größte Desaster für Chefermittler Smith wäre ein Wahlsieg Trumps. Weil die Anschuldigungen Bundesrecht betreffen, könnte ein Präsident Trump den ganzen Prozess per Handstreich stoppen – ebenso wie das ebenfalls von Smith angestrengte Verfahren in Florida wegen der Dokumentenaffäre.

An dem nicht enden wollenden Feuerwerk an Tricksereien hätte Trumps verstorbener Lehrmeister Roy Cohn sicher seine Freude gehabt. Der gewiefte wie rücksichtslose Mafia-Anwalt war der allererste Rechtsbeistand des Unternehmers. Er brachte ihm nicht nur bei, wie man mit dreisten Lügen, üblen Beleidigungen und maßloser Angeberei Erfolg haben kann, sondern auch, dass Gerichtsverfahren im Geschäftsleben Angst und Schrecken verbreiten. Denn Prozessieren ist sehr teuer und aufreibend, allein die Aussicht darauf lässt die Allermeisten entnervt aufgeben. Es sei denn, man hat Geld. Und das besitzt Donald Trump seit Kindesbeinen an in Hülle und Fülle. 

Turmloser Ex-Präsident: Immobilien, die Donald Trump in New York verlieren könnte19:50

„Der durchschnittliche Beobachter muss zu dem Schluss kommen, dass er sich, wenn er auch nur am Rande in dieses Verfahren verwickelt wird, nicht nur um sich selbst, sondern auch um seine Angehörigen Sorgen machen sollte“, schrieb der New Yorker Richter Juan Merchan zu seinem jüngsten Maulkorberlass. „Solche Bedenken beeinträchtigen zweifellos die faire Rechtsprechung und stellen einen direkten Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit selbst dar.“

„Das ist Trumps Strategie“

Für den Juristen Ty Cobb, der im Weißen Haus unter Trump kurzzeitig als Anwalt tätig war, folgt dies alles einem Plan: „Das ist eine klare Strategie. Trumps Angriffe sind Teil seiner immerwährenden Versuche, die Verfahren zu delegitimieren“, sagte er dem Magazin „Politico“. Ob er damit durchkommt, ist noch nicht entschieden. Zeit aber hat er bereits gewonnen.

Quellen: Gizmodo, „The Hill„, „Politico“, „Forbes„, DPA, AFP, Yahoo News, Reuters, PBS, CNN, „The Atlantic“, „Washington Post„, USA Today