Raus aus dem Verborgenen: Ein Europol-Bericht zeigt erstmals, wie das organisierte Verbrechen in Europa um sich greift. Die kriminellen Banden gehen hoch professionell vor – und mitunter äußerst brutal.

Drogengeschäfte, Waffenschmuggel, Betrug und Menschenhandel: Die Europäische Polizeibehörde Europol sieht die innere Sicherheit in der EU durch mehr als 800 schwerkriminelle Netzwerke bedroht. In ihrer Analyse „Decoding the EU’s most threatening criminal networks“ („Entschlüsselung der bedrohlichsten kriminellen Netzwerke der EU“) geben die Ermittler erstmals detaillierte Einblicke in die Strukturen und Vorgehensweisen der Banden – und ziehen ein beunruhigendes Fazit: „Das schwere und organisierte Verbrechen ist allgegenwärtig und stellt weiterhin eine große Bedrohung der inneren Sicherheit der Europäischen Union dar.“ 

Europol warnt vor organisiertem Verbrechen in der EU

Rund 25.000 Mitglieder gehören den insgesamt 821 analysierten Netzwerken an – diese Banden sind dabei nur die Spitze des Eisberges. Untersucht worden seien nur die bedrohlichsten ihrer Art, so die Autoren. Sie seien flexibel, kontrollierend und zerstörerisch, heißt es. „Sie operieren nicht in einer isolierten kriminellen Unterwelt, sondern haben direkte Einwirkung auf das Leben der EU-Bürger.“

Die Profite aus den verbotenen Geschäften investiere die organisierte Schwerkriminalität unter anderem in Immobilien, Läden oder in die Gastronomie. In dieser Infiltrierung der legalen Geschäftswelt liegt laut Europol die größte Bedrohung. Das Geld stammt vor allem aus dem illegalen Drogenhandel, dem lukrativsten Geschäftsfeld der Banden.

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Mit der Analyse will Europol das organisierte Verbrechen besser bekämpfen. „Verbrecher gedeihen bei der Geheimhaltung, aber wir ändern das“, so Behördenchefin Catherine De Bolle. Trotz aller Geheimhaltung – immer wieder gelingt es der Polizei in der EU, kriminelle Netzwerke aufzudecken. Anhand mehrerer Fallbeispiele zeigt Europol auf, wie professionell die Banden arbeiten, aber auch wie skrupellos und mitunter voller Gewalt die Kriminellen vorgehen:

Nach Erkenntnissen von Europol ist die Mafiagruppierung ‚Ndrangheta eines der mächtigsten Verbrechernetzwerke in der EU. Sie mache ihr Geld vor allem mit Drogen- und Waffenhandel sowie mit Betrug. Die Gruppe arbeite unter anderem mit dem kolumbianischen „Golf-Clan“ zusammen, um Rauschgift von Lateinamerika nach Europa und Australien zu schmuggeln. „Bezahlt“ werde das Kokain auch mit Waffen.

Eine italienisch-ecuadorianische Kooperation hat sich laut Europol ebenfalls auf den Drogenhandel spezialisiert – und auf das Waschen der Einnahmen aus illegalen Geschäften. Hierzu betreibe die Bande unter anderem Sport- und Einkaufszentren in Spanien, mehrere Bars und Restaurants. Als legale Kulisse für den Kokainhandel fungierten unter anderem Obstfirmen in Mittelamerika.Geldwäsche sei die „Spezialität“ eines internationalen Geflechts aus Unternehmen, das diese Art illegaler Dienstleistung anbiete – ein extrem komplexes Unterfangen, wie die Ermittler schreiben: „Um die Drogengewinne zu waschen, bietet das Netz eine handelsbezogene Geldwäsche an. Die Drogenproduzenten stellen den italienischen Käufern Drogen als Kredit zur Verfügung. Die durch den Verkauf der Drogen in Europa erzielten Gewinne werden dann von Brokern abgeholt, in Unternehmen eingebracht und für die Bestellung von Waren wie Mobiltelefonen aus China verwendet. Diese Waren werden dann in die Vereinigten Staaten verschifft und weiter nach Kolumbien transportiert, wo sie auf dem Markt angeboten werden. Beim Verkauf erhalten die Kartelle das Bargeld und damit ihre verschleierte Bezahlung für die den europäischen Verkäufern zur Verfügung gestellten Drogen.“

Europol Kindesmissbrauch 19.30

Als besonders brutal gelten laut Europol mehrere kriminelle Netzwerke aus der Westbalkanregion, die ebenfalls im großen Stil am Kokainimport und -handel beteiligt sei. „Einige dieser Gruppen sind auch auf exzessive Gewalt, professionelle Entführungen und Hinrichtungen, Korruption, Geldwäsche, Waffen- und Sprengstoffhandel und Dokumentenfälschung spezialisiert und/oder stark daran beteiligt“, heißt es in der Analyse der europäischen Polizeibehörde.Mit Werbevideos auf Social-Media-Plattformen gelange eine Schlepperbande an ihre „Kundschaft“. Für 15.000 bis 20.000 Euro biete sie Migranten die illegale Einreise in die EU, vorwiegend über den Balkan.Kriminelle Netzwerke seien auch im virtuellen Raum aktiv, berichtet Europol. Die „Lockbit-Ransomware-Gruppe“ sie vor kurzem von den Strafverfolgungsbehörden ins Visier genommen und geschwächt worden. Die Gruppe, die sei ein „Ransomware-as-a-Service“-Netzwerk. Ein Kernteam erstelle Schadsoftware und verkaufe Lizenzen an kriminelle Partner, die ihrerseits Cyberangriffe zur Erpressung von Geld durchführten.

PAID Hamburger Hafen Einbrüche 16.09

Im belgischen Antwerpen ist laut Europol ein krimineller belgisch-albanischer Familienclan aktiv. Es konzentriere sich auf die Einfuhr von Haschisch aus Spanien und hole Kokainlieferungen aus dem Hafen der Stadt. Korrupte Hafenarbeiter unterstützten sie dabei.

Quellen: Europol, Nachrichtenagenturen DPA und AFP