Im Comeback von Stefan Raab offenbart sich die Kluft zwischen den alten TV-Nostalgikern und der Generation TikTok. Hier schreibt stern-Autor Hannes Roß, wieso seinen Söhnen die Wiederauferstehung des TV-Messias egal ist.
Viele Menschen merken es kaum: Plötzlich sind sie erwachsen und verheiratet, haben einen Job und Kinder. Doch im Kopf haben sie ihr Jugendzimmer nie ganz verlassen. Dort riecht es nach CK One und im Fernsehen läuft MTV: Britney küsst Madonna und Kurt Cobain schreit „Here we are now, entertain us“. Wer wie ich mit der Omnipräsenz des Musikfernsehens aufgewachsen ist, fühlt sich auch als Erwachsener noch wie ein Kind der Popkultur, das nie den Anschluss an die Zukunft verloren hat.
Meine beiden Söhne Bela, neun, und Matteo, zwölf, können ein Lied davon singen. Leider ist es nie eins von meinen Lieblingsliedern, mit denen ich sie hin und wieder zwangsbegeistern möchte. Mittlerweile fliehen die beiden aus dem Wohnzimmer, wenn ich mal meine sorgfältig über Jahre kuratierte Spotify-Playlist „Partywaffe“ abspiele. Die Unterhaltungswelt meiner Söhne spielt einfach auf einem anderen Planeten, bei Instagram, TikTok und YouTube.
Raab existiert für die Jüngeren gar nicht
Ausgerechnet dort tauchte vor kurzem Stefan Raab aus der Versenkung auf. Er kündigte sein TV-Comeback an für den Fall, dass ihm bei Instagram in drei Tagen neun Millionen Leute folgen würden. Doch als ich meinem Sohn Matteo den millionenfach geteilten Instagram-Aufruf vorspielte und ihm dazu ein Internetbild zeigte, auf dem Raab breit grinsend zu sehen war, fragte er nur: „Wer ist der Mann mit den vielen Zähnen, Papa?“
Wer in Zeiten des rasanten digitalen Medienwandels für neun Jahre aus der Öffentlichkeit verschwindet, wie es Raab nach seinem TV-Abschied 2015 konsequent und erfolgreicher als jeder RAF-Terrorist getan hat, der hat für die jüngere Generation nie existiert. Wie erklärt man also einem Zwölfjährigen, dessen Stars YouTube-Gamer sind, warum so viele ältere Menschen gerade jetzt völlig elektrisiert sind, dass Stefan Raab für einen einmaligen Boxkampf gegen die ehemalige Boxweltmeisterin Regina Halmich ins Fernsehen zurückkehrt?
Ein Dinosaurier, der irgendwie überlebt hat
Die Hysterie um die Wiederauferstehung des TV-Entertainers hat vor allem damit zu tun, dass Raab auch so etwas wie der letzte große Showstar des alten Unterhaltungsfernsehens ist. Raab war zwar keiner, dem die Herzen zuflogen wie einem Kai Pflaume, dafür war er viel zu ehrgeizig und unberechenbar in seiner Art, auch mal nach unten zu treten. Aber er hatte andere Talente: Als sprühend kreativer Format-Erfinder („TV Total“ und „Schlag den Raab“), als begnadeter Musikproduzent (mit seiner Entdeckung Lena Meyer-Landrut gewann er 2010 den Eurovision Song Contest) und als oft mittelmäßiger Moderator, der leider viel zu selten zeigte, was er eigentlich könnte, wenn er sich nur mal vorbereitet – so wie beim TV-Duell der Kanzlerkandidaten 2013, als Raab mit furchtloser Schlagfertigkeit Angela Merkel und Peer Steinbrück aus ihrer kontrollierten Politikerroutine holte.
In der geteilten Begeisterung über das TV-Comeback von Stefan Raab spiegelt sich nun die Kluft der Generationen. Auf der einen Seite die alten TV-Nostalgiker, die sich in besonderen Härtefällen noch heute nach einer Kindheit mit heißer Badewanne, Frotteebademantel und „Wetten, dass…?“ sehnen. Auf der anderen Seite meine gähnenden Söhne Bela und Matteo, die Joko und Klaas noch wohlwollend aus dem Augenwinkel wahrnehmen, aber ansonsten andere Unterhaltungs-Helden haben.
Raab war ein Biest – aber kennt wer MrBeast?
Wie zum Beispiel den Amerikanern Jimmy Donaldson, der sich auf YouTube MrBeast nennt. Etwa einmal pro Woche gibt es ein neues Video, meist zwischen 10 und 30 Minuten lang, mit einem Budget von einer Million Dollar. Manchmal kauft MrBeast eine einsame Insel und lässt seine Abonnenten darum spielen. Oder er lässt die Schokoladenfabrik von Willy Wonka nachbauen und das Süßigkeiten-Haus von seinen Followern live bei YouTube vernaschen.
Ich glaube, Stefan Raab und MrBeast würden sich gut verstehen. In ihrem Ehrgeiz und ihrer kindlichen Kreativität, die Grenzen der Unterhaltung immer wieder zu sprengen, sind sie sich gar nicht so unähnlich. Nur was die Anzahl der Follower angeht, muss sich Stefan Raab noch etwas anstrengen. Während Raab auf Instagram mittlerweile über drei Millionen hat, erreicht MrBeast mit seinen Videos unglaubliche 200 Millionen Menschen. Das sind übrigens geschätzte drei Prozent der Weltbevölkerung.
Wenn Sie also demnächst von Ihren Kindern gefragt werden, ob Sie MrBeast auch kennen, nicken Sie einfach abgeklärt und wissend. Das hat mir bei meinen Söhnen jedenfalls mehr Anerkennung gebracht als mein großes TV-Nostalgie-Gedächtnis für Stefan Raab. Der bleibt für meine Jungs einfach der Mann mit den vielen Zähnen.