Kriegstüchtig und effizient soll die Bundeswehr sein. Die Strukturreform von Verteidigungsminister Pistorius allein dürfte das kaum bewerkstelligen.

Boris Pistorius wirkt zufrieden. Die Stuhlreihen vor ihm sind ausnahmslos besetzt. Durchaus angemessen, befindet der Verteidigungsminister, der an diesem Donnerstagvormittag auch sonst nicht zu Bescheidenheit neigt. Zurecht?

„Ich darf Ihnen heute vorstellen, wie die Bundeswehr der Zeitenwende aussehen wird“, sagt Pistorius der versammelten Presse im Brustton der Überzeugung. Stillgesessen, Augen geradeaus: So sieht unsere Marschrichtung aus – das ist die Botschaft, die vom Podium ausgehen soll.

Es ist ja auch ein bedeutsamer Tag für Pistorius. Nicht nur, weil das Nato-Verteidigungsbündnis heute seinen 75. Geburtstag feiert. Das Zusammenfallen der Termine ist sicher nur Zufall. Für den Verteidigungsminister geht es auch um sein Image als Minister mit Machermentalität, um seine persönliche Bilanz. Kann er liefern? Die Erwartungen sind hoch. Und wenn man Pistorius so zuhört, ist der Erfolg sogar kriegsentscheidend.

Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine hat sich die Bedrohungslage geändert, auch für Deutschland. Pistorius reagiert mit einer Strukturreform der Streitkräfte, die ambitioniert ist. Er will eine „kriegstüchtige“ Truppe schaffen, die für den Verteidigungsfall optimal aufgestellt ist. Mit dem Wording der „Kriegstüchtigkeit“ schreckt er schon mal seine friedensbewegten Genossen ab, doch Pistorius verfolgt ein anderes Ziel: „Niemand soll auf die Idee kommen, uns anzugreifen“, sagt der Verteidigungsminister. 

Deswegen soll die Truppe schlagkräftiger werden, auch in der Organisation. Künftig soll ein einheitliches operatives Führungskommando für Führung aus einer Hand und schnellere Entscheidungen sorgen. Zudem werde die Bundeswehr entlang von vier Teilstreitkräften (Land, Luft- und Weltraum, See und neuerdings Cyber- und Informationsraum) mit einem gemeinsamen Unterstützungskommando (u. a. Sanitätsdienst und Logistik) umorganisiert. Weniger ist mehr, flexibler und effizienter – so die Idee. Geht sie auf? 

Umbau der Bundeswehr: Geplante Struktur des militärischen Bereichs der Bundeswehr
© stern/rös; DPA Infografik; Quelle: Vewrteidigungsministerium

In den vergangenen fünf Monaten habe man äußerst intensiv diskutiert, sagt Pistorius. Durch die verschlankten Strukturen dürften auch einige Stabsstellen im aufgeblähten Bendlerblock wegfallen, allerdings könne er da noch keine Zahlen nennen. Trotzdem ist sich Pistorius sicher: Kritik, nicht zuletzt aus dem eigenen Haus, werde auch in den kommenden Monaten nicht abreißen. Sonst wäre es ja auch keine Reform, meint der Minister. An der „muss man sich auch reiben“.

Immerhin versucht sich der Verteidigungsminister am Umbau eines widerspenstigen, schwerfälligen Riesen. Schon Annegret Kramp-Karrenbauer, seine Amtsvorvorgängerin, wollte die Streitkräfte modernisieren, Strukturen verschlanken und die Truppe stärken. Unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs wurden Kramp-Karrenbauers „Eckpunkte für die Bundeswehr der Zukunft“ (2021) einer „kritischen Bestandsaufnahme“ durch ihre ebenso glücklose Nachfolgerin Christine Lambrecht (2022) unterzogen. 

Nun will Pistorius also die „Bundeswehr der Zeitenwende“ ins Werk setzen. Für die Anpassungen habe er den Streitkräften ein halbes Jahr Zeit gegeben, sagt er. Damit mag zwar für ein Update der Bundeswehr-Struktur gesorgt sein, aber längst nicht jedes Problem des beliebten Ministers ist damit gelöst. 

Die vielen Baustellen von Boris Pistorius 

Niedersachsens früherer Innenminister war mit „richtig Bock“ auf den Bendlerblock ins Amt gestartet, woran seine vielen Besuche bei der Truppe kaum einen Zweifel ließen. Sogar die Opposition lobt, dass Pistorius – trotz des Kaltstarts – einen gelungenen Auftakt hingelegt habe. Schnell in der Analyse von Problemen, klar in deren Benennung. Die gern mal kernigen Aussagen und sein hemdsärmeliger Auftritt machten ihn prompt zum beliebtesten Politiker des Landes. 

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Dabei bleibt seine bisherige Bilanz, nach fast 13 Monaten im Amt, teils hinter den hohen Erwartungen zurück, zumal die Bundeswehr in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt wurde. Mängel bei Munition und Ersatzteilen, der wachsende Bedarf an Großgerät – diese Probleme sind seit Langem bekannt. Folglich soll auch die heimische Rüstungsindustrie wieder hochgefahren werden. Die Unterstützung der Ukraine macht das Unterfangen nicht weniger dringlich. 

Klar, Pistorius hat auch schon viel bewegt. So ist etwa ins Beschaffungswesen ordentlich Tempo eingekehrt, ein Großteil des 100-Milliarden-Sondervermögens für die Bundeswehr ist schon vertraglich gebunden. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Das Geld wird knapp. 

Schon für das Haushaltsjahr 2025 taxiert Pistorius einen zusätzlichen Bedarf von bis zu sechseinhalb Milliarden Euro, um den Betrieb am Laufen zu halten und das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zu erfüllen. „Gute Strukturen nutzen wenig, wenn Geld, Personal und Ausstattung nicht da sind“, räumt Pistorius ein.  

Besonders die ungeklärte Finanzierung versieht jedwede Ambition im Verteidigungsministerium mit einem Fragezeichen. Will Deutschland jedes Jahr mindestens zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung in die Verteidigung stecken, wie es die Bundesregierung mehrmals versichert hat, müsste Pistorius‘ regulärer Etat ab 2028 schätzungsweise aufs Doppelte anwachsen. Spätestens dann dürften die 100 Sondermilliarden ausgeschöpft sein, die Kanzler Olaf Scholz der Bundeswehr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine besorgt hat.

Zwar sind sich in der Ampel-Regierung alle über das gemeinsame Ziel einig, doch nicht über den Weg. Ein weiteres Sondervermögen? Eine Reform der Schuldenbremse? Einsparungen in anderen Ressorts? Es zeichnen sich harte Verteilungskämpfe ab. Pistorius sagt dazu nur so viel: Das Nato-Ziel werde Deutschland auch in den kommenden Jahren erfüllen müssen, um seiner Rolle gerecht werden zu können. Es klingt etwas ratlos. 

Nicht zuletzt hat die Bundeswehr ein Problem mit ihrer „Aufwuchsfähigkeit“, wie es im Militärjargon heißt. In anderen Worten: Die „Bundeswehr der Zeitenwende“ hat nicht genug Leute. Erklärtes Ziel ist, dass die Truppe bis 2031 auf 203.000 Soldaten anwächst. Bei dieser Wegmarke soll es bleiben, sagt Pistorius. Dabei waren die Zahlen zuletzt rückläufig, sind auf 181.000 Soldatinnen und Soldaten gesunken.

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Daher trommelt Pistorius schon seit Monaten und unüberhörbar für die Wiedereinführung eines Wehrpflichts-Modells. Daran werde „intensiv“ weitergearbeitet, betont Pistorius, der an diesem Donnerstag allerdings noch keine Ergebnisse vorstellen kann. Bis Mitte April solle ein Papier in seinem Haus entstehen, in dem verschiedene Modelle gegenübergestellt und auf ihre Machbarkeit überprüft würden. „Dann wird der Diskussionsprozess zeigen, wo wir rauskommen“, so der Minister. Denn ganz gleich, was Pistorius will: Die Kabinettskollegen und das Parlament müssen es auch wollen, im Fall einer Grundgesetzänderung sogar Opposition und Bundesrat. 

Ist die „Bundeswehr der Zeitenwende“ damit zunächst nur ein Schlagwort? Pistorius will diesen Donnerstag als „Signal des Aufbruchs“ verstanden wissen. Als richtungsweisende Reform mit Blick auf die Landes- und Bündnisverteidigung. Das sei ihr Zweck, so Pistorius. Ein Selbstzweck sei sie nicht.