Mehr als acht Monate nach seinem Verschwinden sind in Frankreich die sterblichen Überreste des zweijährigen Émile aufgetaucht – an einem Ort, der zuvor mehrfach durchsucht wurde. Dass die Finderin den Schädel mitnahm, erleichtert die Ermittlungen nicht unbedingt.
Die traurige Nachricht kam nicht mehr überraschend: Der zweijährige Émile, seit vergangenem Sommer vermisst, ist tot. In der Nähe des südfranzösischen Bergdorfes Le Vernet stieß eine Spaziergängerin am Osterwochenende auf Knochen. Die Gen-Analyse der Ermittler ergab, dass es sich um Gebeine des seit Anfang Juli vermissten Émile handelt, wie die Staatsanwaltschaft Aix-en-Provence mitteilte. „Auch, wenn diese herzzerreißende Nachricht befürchtet wurde, ist nun die Zeit der Trauer, der Andacht und des Gebets“, ließen die Eltern des Kleinen über ihren Anwalt mitteilen. „Schmerz und Kummer bleiben.“
Der zweieinhalb Jahre alte Émile war bei seinen Großeltern im südfranzösischen Ort Le Vernet im Urlaub gewesen, als diese ihn am 8. Juli gegen Abend aus den Augen verloren hatten. Bei den Großeltern hielten sich zu dem Zeitpunkt auch etliche andere Verwandte auf. Zwei Zeugen hatten ausgesagt, noch gesehen zu haben, wie das Kleinkind eine Straße herunterlief.
PAID CRIME 45 Das Leben einer Mutter Immer wieder hatte die Polizei in den Tagen und Wochen nach dem Verschwinden des Jungen mit einem Großaufgebot die Umgebung abgesucht. Menschen aus Vernet und Umgebung halfen bei der Suche. Auch Leichenspürhunde durchkämmten das Gebiet. Die Fahnder durchsuchten Wohnungen in dem kleinen Dorf mit gerade einmal 125 Einwohnern. Erst am Donnerstag vergangener Woche wurde der abgelegene Ort abgeriegelt, um den Tag des Verschwindens nachzustellen. Die Fahnder ermitteln wegen Entführung und Freiheitsberaubung, schlossen aber auch einen Unfall nicht aus.
Vermisstenfall bewegt Frankreich
Ganz Frankreich nahm Anteil an dem Vermisstenfall. Zwischenzeitlich stand ein junger Bauer unter Verdacht, den kleinen Émile mit seinem Traktor überfahren und den Leichnam anschließend versteckt zu haben. Auch für Émiles Großvater interessierten sich die Ermittler seit dem Verschwinden des Jungen – nicht nur, weil er an dem Tag auf ihn aufpassen sollte. Denn Anfang der 1990er war Émiles Großvater laut „TF1 Info“ Betreuer in der religiösen Gemeinschaft von Riaumont, einem Jungeninternat. Ehemalige Bewohner schilderten dem Sender eine Atmosphäre der Gewalt und der sexuellen Übergriffe in der Einrichtung: „Es ging um Autoritätsmissbrauch, Leute, die dachten, sie könnten sich alles erlauben“, sagt ein Ex-Bewohner. „Das konnte von einfacher Schikane bis hin zu Schlägen reichen: Ohrfeigen, Tritte, Faustschläge, Hämmern, Gürtel. Das war die Art von Bestrafung, die wir hatten.“ In einer Ermittlung dazu wurde Émiles Großvater 2018 als Zeuge gehört. Allerdings schreibt „TF1 Info“ auch, dass die Ermittler keine Verbindung zwischen dem Fall in Riaumont und dem Verschwinden von Émile sahen. Schaurig-schoen 17.22
Auf seiner Pressekonferenz nach dem Knochenfund machte der Staatsanwalt von Aix-en-Provence am Dienstag auch Erstaunliches öffentlich: Die Wanderin nahm den Schädel an sich, bevor sie ihn den Behörden anvertraute. „Verwirrt von ihrer Entdeckung“ habe sie den Schädel „in eine Plastiktüte gesteckt“, so der Staatsanwalt. Anschließend nahm sie den Schädel mit nach Hause und kontaktierte anschließend die Polizei. Laut der Regionalzeitung „Midi Libre“ hatte die Frau an der Fundstelle kein Handynetz. Wenig überraschend zitiert „Le Figaro“ einen Ermittler: „Uns wäre es lieber gewesen, sie hätte nichts angefasst.“
Rätsel um Fundort von Émile
Der Fundort nahe dem Dorf gibt indes Rätsel auf. Mehrfach war das Gebiet in den vergangenen Monaten abgesucht worden. Das Gelände sei schwer zugänglich, und es gebe eine geringe Chance, dass man die Knochen übersehen habe, sagte Gendarmerie-Sprecherin Marie-Laure Pezant dem Sender CNews. Denkbar sei aber auch, dass die Gebeine erst später an die Stelle gelangten, etwa durch einen Menschen, ein Tier oder das Wetter – vielleicht sogar erst kurz vor ihrer Entdeckung. An einem Bach unweit des Schädels fanden die Einsatzkräfte auch das T-Shirt, die Schuhe und die Unterhose, die Émile am Tag seines Verschwindens trug. Die Kleidung habe nicht an ein und derselben Stelle gelegen, sondern sei etwas verteilt gewesen.
Knochen vom Zweijährigen gefunden 15.00Die Analyse der Knochen brachte ein für die Ermittler enttäuschendes Ergebnis: „Diese Knochen alleine ermöglichen es nicht, zu sagen, was die Ursache für den Tod von Émile war“, sagte Staatsanwalt Jean-Luc Blachon am Dienstag in Aix-en-Provence. „Zwischen einem Sturz des Kindes, fahrlässiger Tötung und Mord können wir noch immer keine These als wahrscheinlicher erachten als die anderen, um das Verschwinden und den Tod des Kindes Émile zu erklären.“ Der Staatsanwalt räumte ein: „Ich weiß, dass das nicht befriedigend ist, für niemanden, weder für die Familie, noch für die Fahnder, noch für die Ermittlungsrichter.“
Keine Verletzungen vor dem Tod
Die Ermittler fanden kleine Risse und Brüche an dem Knochen, die nach dem Tod entstanden seien. Auch Bissspuren, vermutlich von Tieren, waren zu sehen. Verletzungen vor dem Tod des Jungen habe man nicht gefunden.
Die Gebeine seien nicht vergraben worden und lange Zeit über verschiedenem Wetter ausgesetzt gewesen. Man prüfe noch, ob die Knochen auch in verschiedenen Biotopen gewesen sein könnten. Es könnte die letzte Chance sein, zu klären, ob Émile einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist oder sein Tod ein Unfall war.
Quellen: DPA, AFP, „Midi Libre“, „CNews.fr“, „LeFigaro.fr“, „France Info“, „Le Parisien“, „TF1 Info“.