Der Ende 2023 verstorbene CDU-Politiker Wolfgang Schäuble hat in seinen Memoiren Details zu einem unionsinternen Versuch zum Sturz der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) preisgegeben. Während der Flüchtlingskrise 2015 sei er vom früheren CSU-Chef Edmund Stoiber dazu gedrängt worden, Merkel zu stürzen, zitiert das Magazin „Stern“ am Mittwoch aus den Memoiren des damaligen Bundesfinanzministers über Spannungen innerhalb der Union zu jener Zeit.

Stoiber sei aktiv geworden „und feuerte (Horst) Seehofer, seinen Nach-Nachfolger im Ministerpräsidentenamt, in dessen Attacken gegen Merkel an“, schrieb Schäuble in seinen Erinnerungen. Ihn habe er dazu bewegen wollen, Merkel zu stürzen, „um selbst Kanzler zu werden“. Schäuble habe das „entschieden“ abgelehnt. 

Wie schon Jahrzehnte zuvor beim CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl sei er bei seiner Überzeugung geblieben, „dass der Sturz der eigenen Kanzlerin unserer Partei langfristig nur schaden könnte, ohne das Problem wirklich zu lösen“. Das sei sein Verständnis von Loyalität gewesen, „das nach heutigen Maßstäben vielleicht ein wenig antiquiert erscheint“, zitiert der „Stern“ weiter aus Schäubles Erinnerungen. 

Die Debatte habe ihn „fast ein wenig“ amüsiert, schrieb Schäuble, „weil ich ja mein Alter kannte, seit mehr als einem Vierteljahrhundert querschnittsgelähmt war und insgesamt eine angeschlagene Gesundheit hatte.“

Während der Flüchtlingskrise 2015 war Schäuble 73 Jahre alt. „Vielfach hatte ich in den Jahren zuvor meine Nachrufe lesen können – und jetzt sollte ich, dessen Karriere angeblich immer ‚unvollendet‘ geblieben war, endlich den Sprung ins Kanzleramt wagen? Das war einigermaßen absurd“, schrieb Schäuble.

Merkels Kurs in der Flüchtlingskrise bewertete Schäuble in seinen Memoiren positiv. „Als die Kanzlerin am 4. September 2015 die im Rückblick für diese Krise zentrale Entscheidung traf, die Grenzen angesichts der katastrophalen Zustände am Bahnhof von Budapest, wo Flüchtlinge zu tausenden gestrandet waren, weiterhin offenzuhalten, fand ich dies aus humanitären und europapolitischen Gründen richtig“, schrieb Schäuble. „Auch Merkels Ende August 2015 geäußerten Satz ‚Wir schaffen das!‘ fand ich richtig.“

Mit zunehmender Dauer der Krise hätten Merkel und er dann aber unterschiedliche Vorstellungen entwickelt. „Im Unterschied zur Kanzlerin hielt ich es für richtig, den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein einzuschenken und klarzumachen, dass der Einsatz für die Flüchtlinge eben auch mit Kosten und Opfern verbunden ist. Appelle allein nützten nichts“, schrieb Schäuble. So sei er „gelegentlich frustriert“ gewesen, dass Merkel „in mancherlei Hinsicht beratungsresistent blieb“.

Insgesamt zog Schäuble eine durchwachsene Bilanz der Ära Merkel. „Als Bundeskanzlerin hat sie wesentlich dazu beigetragen, dass unser Land mit strukturellen gesellschaftlichen Veränderungen ohne allzu große Verwerfungen zurande kam.“ Allerdings hätten später „die Nachteile ihrer ständigen Suche nach Kompromissen mit Koalitionspartnern und den anderen Parteien im Bundesrat“ überwogen. 

Persönlich habe er „eine grundsätzliche Sympathie für sie gehabt, sie menschlich immer gemocht“. Richtig sei aber auch, „dass wir beide sehr unterschiedliche Ansichten davon haben, was es heißt, politisch zu führen“.

Schäuble war am 26. Dezember im Alter von 81 Jahren gestorben. Er gehörte seit 1972 dem Bundestag an, war Unions-Fraktionschef und von 2017 bis 2021 Bundestagspräsident. Unter Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundeskanzlerin Merkel (beide CDU) hatte Schäuble mehrere Ministerämter inne. So war er Kanzleramtschef, Innenminister und zuletzt bis 2017 Bundesfinanzminister. 

Am kommenden Montag sollen Schäubles Memoiren in Buchform erscheinen. Der „Stern“ hat zentrale Passagen vorab veröffentlicht.