Eben noch gleichberechtigter Kollege, plötzlich Chef oder Chefin: Wenn ein Team-Mitglied zur Führungskraft aufsteigt, kann das zu internen Konflikten führen. Jobcoach Nadja Verspohl erklärt, wie man diese Herausforderung meistert.
Wenn Teams und Führungskräfte neu zusammengewürfelt werden, braucht es eine offene und ehrliche Kommunikation. Und die Bereitschaft, sich auf die neue Situation einzulassen, auch wenn sie schwierig ist.
Zunächst ist es hilfreich zu verstehen, dass Anpassungsschwierigkeiten in Veränderungsprozessen ganz normal sind. Eine Führungskraft sollte versuchen, die neue Leitungsposition zuversichtlich anzunehmen und für sich ganz klar zwischen der Bewertung ihrer Rolle und Person zu trennen. Denn das Team bezieht sich in diesem Fall wahrscheinlich eher auf die Rolle und meint es nicht persönlich. Die Führungskraft darf signalisieren: Ich werde alles tun, um eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zu schaffen. Nadja Verspohl ist Diplom-Sozialpädagogin, systemische Therapeutin und Organisationsentwicklerin. Sie arbeitet als Führungskräfte- und Organisationsberaterin im Fürstenberg Institut, das Unternehmen und Organisationen dabei unterstützt, die mentale Gesundheit und Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeitenden und Führungskräfte zu verbessern. Für den stern beantworten Expert*innen des Fürstenberg Instituts in loser Folge Fragen der Leser und Leserinnen. Sie haben eine Frage zum Thema Job & Mental Health? Schreiben Sie an [email protected]
© Fürstenberg Institut
Worauf die Führungskraft eingehen muss
Aus meiner Erfahrung kristallisieren sich in Veränderungssituationen bei Mitarbeitenden aus Sorge und Unsicherheit oft drei ganz klassische Grundbedürfnisse heraus:
Das Bedürfnis nach Autonomie: Kann ich weiterhin eigenständig und selbstbestimmt arbeiten?Das Bedürfnis nach Beziehung: Wie steht meine neue Führungskraft zu mir und ich eigentlich zu ihr? Das Bedürfnis nach Sicherheit: Werde ich meine Aufgaben behalten und den neuen Anforderungen gerecht? Bis hin zu: Werde ich meinen Job behalten?
In der vorliegenden Situation geraten diese Bedürfnisse erstmal ordentlich ins Wanken. Wenn die Führungskraft die Bedürfnisse und Sorgen der Mitarbeitenden kennt und sich in die Situation des Teams hineinversetzt, hilft das allen Seiten, um die Zusammenarbeit zu erleichtern.
Fürstenberg-Kolumne Introvertiert im Job 20.15Es ist zwar ein alter Hut, aber: Die ersten 100 Tage sind entscheidend für das Zusammenwachsen der Führungskraft und des Teams. Das sehen wir auch in unseren Beratungen immer wieder. Es ist eine Chance für alle, auch wenn sie Herausforderungen birgt. Was kann eine Führungskraft also tun, um eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre herzustellen und herauszufinden, woher die ihr entgegengebrachte Ablehnung rührt? Hier kommen ein paar Tipps:
Nehmen Sie sich Zeit für jede:n Einzelne:n. Lernen Sie Ihre Mitarbeitenden und deren Fähigkeiten kennen und zeigen Sie Interesse an ihren Wünschen und Bedürfnissen.Nehmen Sie sich Zeit für Ihr Team. Stellen Sie regelmäßige Meetings mit allen ein, in denen sich zu Projekten und Themen, aber auch zur Teamsituation und Stimmung offen ausgetauscht wird.Sprechen Sie heikle Themen direkt an: „Ich spüre Eure Unzufriedenheit mit der Situation. Wie können wir sie gemeinsam verbessern, woran hakt es konkret?“ Bitten Sie das Team, offen und nicht hinter dem Rücken zu reden. Bleiben Sie menschlich und sagen Sie bei Bedarf auch, dass sich die Situation auch für Sie nicht gut anfühlt. Verdeutlichen Sie, dass es Ihnen wichtig und möglich ist, trotz Unstimmigkeiten gut zusammenzuarbeiten. Organisieren Sie einen Teamworkshop. Klären Sie darin, was das Team für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit braucht und auch, was Ihnen als Führungskraft wichtig ist. Stellen Sie Regeln für ein gutes Miteinander auf wie z.B.: Wie organisieren wir unsere Zusammenarbeit? Wie wollen wir im Team Feedback geben? Schaffen Sie möglichst viel Klarheit in Arbeitsabläufen, Strukturen und Prozessen. Geben Sie dem Team Zeit, sich mit der neuen Situation vertraut zu machen und damit auch eine positivere Sicht auf Sie als Führungskraft zu entwickeln. Ist ein*e Mitarbeiter*in im Team, die selbst Führungskraft werden wollte, ist das oft eine besondere Situation. Gehen Sie auf diese Person offen zu und fragen Sie, wie Sie sie unterstützen können und welche Arbeitsbereiche ihr wichtig sind. Hier erfordert es ein besonderes Fingerspitzengefühl. Aber: Offenheit und Zugewandtheit lohnen sich. Sind Sie als ehemaliges Teammitglied in die Führungsposition aufgestiegen, suchen Sie den offenen Austausch. Sprechen Sie darüber, was für das Team schwierig daran ist und was es braucht, damit sich alle in den neuen Rollen wohlfühlen und gut arbeiten können.
Interview Irre Chefs 6.18Wenn die Probleme anhalten …
Wenn die Führungskraft auch über mehrere Wochen noch das Gefühl hat, das Team lehne sie ab, hilft es, zugewandt und trotz aller Schwierigkeiten dran zu bleiben. Sie kann zum Beispiel den Teamworkshop wiederholen und tiefer in die Themen eintauchen. Wichtig ist auch, sich im Prozess immer wieder selbst zu reflektieren. In diesem Zusammenhang kann externe Hilfe in Form von Beratern und Coaches ebenfalls helfen. Außerdem hat die Führungskraft die Möglichkeit, mit ihrer eigenen Führungskraft zu sprechen und gemeinsam mit ihr nach Lösungen zu suchen. Geht die Ablehnung von einzelnen Personen aus, hilft es auch, noch einmal gezielt in Einzelgespräche zu gehen und zu besprechen, wo die Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit konkret liegen.
Es ist wichtig, Schwierigkeiten aber auch erste positive Entwicklungen immer wieder anzusprechen und nicht vor Auseinandersetzungen zurück zu scheuen: Was klappt gut? Was nicht? Was wird gebraucht? Wo kann ich in meiner neuen Rolle noch unterstützen? Mitarbeitende sollten merken: Meine Führungskraft nimmt das Thema und unsere Sorgen ernst. So schaffen sie Bindung und Vertrauen.
Mein Rat speziell für junge Führungskräfte: Achten Sie bei allen Konflikten und Schwierigkeiten auf Ihren Energiehaushalt. Führungskräfte bewegen sich immer in einem Spannungsverhältnis zwischen Unternehmen, Team und einzelnen Mitarbeitenden. Einerseits müssen die Anforderungen des Unternehmens erfüllt werden, andererseits die Erwartungen des Teams. Das ist viel und oft ein echter Balanceakt. Führungskräfte sollten also gut auf sich und ihre eigenen Bedürfnisse achtgeben und ihre Kraft einteilen. Und für sich herausfinden, was ihnen guttut, um die neue Leitungsposition bestmöglich und mit Freude und Spaß ausführen zu können.
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