Manche sind „etwas verwundert“, andere sogar „verstört“ – die Ampel streitet über die Kindergrundsicherung. Also alles beim Alten? Einen Ansporn könnte es geben.

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Liebe Leserinnen und Leser, 

ich hoffe, Sie hatten schöne und besinnliche Ostertage. Was die Berliner Politik anbelangt, blieb es ein frommer Wunsch meines Kollegen Benedikt Becker: In der letzten Woche schrieb er von der Kraft, die sich entfalten könnte, würden sich die dauerstreitenden Koalitionäre eine Woche Osterruhe verordnen.

Es kam anders: Familienministerin Lisa Paus von den Grünen sprach mit der „Rheinischen Post“ unter anderem über die Kindergrundsicherung, also das Vorhaben, mit dem die Ampel Kinderarmut bekämpfen will. Das Kabinett hat den Entwurf nach langem Hin und Her im vergangenen September verabschiedet, seitdem steckt er im Parlament fest.  

26: Bericht Mehr als jedes fünfte Kind von Armut betroffen – aa2d8777dadcc4d5

Die Gemüter sind bei dem Thema erhitzt. Das lässt sich schon daran ablesen, dass Paus mit ihren Aussagen, die eigentlich nicht neu sind, erboste Reaktionen auf sich zog. Da half selbst kein langes Osterwochenende. Auf die Frage danach, warum es für die Umsetzung 5000 neue Stellen brauche, sagte Paus: Damit wolle man „von der Holschuld der Bürger zur Bringschuld des Staates kommen“. Finanzminister Christian Lindner findet eine solche Vorstellung „verstörend“. Der FDP-Politiker will in typisch liberaler Manier natürlich verhindern, dass der Staat Bürgerinnen und Bürger von der „Eigenverantwortung entwöhnt“.

Allein, weil man sich in einer Koalition mit der FDP befindet, ist der Begriff der „Bringschuld“ (den Paus nicht erst jüngst, sondern von Beginn an verwendet) nicht glücklich gewählt. Was sie damit eigentlich sagen will: Familien sollen besser als bislang auf Unterstützungsleistungen aufmerksam gemacht werden, die ihnen (auch heute schon) für ihre Kinder zustehen könnten. Durch einen „Kindergrundsicherungs-Check“, der die Anspruchsberechtigung automatisch überprüft und die Eltern informiert. 

Das mag im ersten Moment banal klingen. Allerdings geht die Bundesregierung davon aus, dass der sogenannte Kinderzuschlag nur etwa ein Drittel der Kinder erreicht, die eigentlich Anspruch hätten. Die Leistung können Familien zusätzlich zum Kindergeld erhalten, wenn mindestens ein Elternteil arbeitet, aber das Einkommen trotzdem nicht reicht.  

Würde dieses Geld mehr Familien als bisher erreichen, kann das langfristig positive Auswirkungen haben, das legt zumindest eine Untersuchung der beiden Wirtschaftswissenschaftler Tom Krebs und Martin Scheffel nahe. Denn die Vermeidung von Kinderarmut führt unter anderem dazu, dass Kinder mehr Erfolg in der Schule und dann auch am Arbeitsmarkt haben. Deshalb könnte die geplante Kindergrundsicherung bis 2050 die gesamtwirtschaftliche Produktion um 11,3 Mrd. Euro pro Jahr steigern, so die beiden Forscher in der Untersuchung für die Hans-Böckler-Stiftung. Nach 18 Jahren überstiegen dadurch die jährlichen Nettoeinnahmen die Menge an Geld, die für die Reform ausgegeben werden muss.   

Das könnte für alle Beteiligten ein Ansporn sein, die Kindergrundsicherung zum Erfolg zu führen. Vielleicht braucht es dazu am Ende einen Weg, der ohne 5000 zusätzliche Beschäftigte in einer neuen Behörde auskommt. Von der Zahl ist selbst die SPD „etwas verwundert“. Er glaube, dass man da noch reduzieren könne, sagte Parteichef Lars Klingbeil.  

Auf der Suche nach einem gangbaren rot-grün-gelben Weg tickt die Uhr täglich lauter. Am Ende der Legislatur werden einige Punkte aus dem Koalitionsvertrag nicht Wirklichkeit geworden sein. Machen die drei Ampel-Partner weiter wie bislang, könnte die Kindergrundsicherung darunter sein.  

PERSON DER WOCHE

ist Peter Altmaier. Moment mal, vielleicht fragen Sie sich: Der hat doch nichts mehr zu sagen? Es stimmt, 2021 zog sich der ehemalige CDU-Minister und Merkel-Vertraute aus der Berufspolitik zurück. 

Meine Kollegin Miriam Hollstein und ich wollten von ihm und vier weiteren ehemaligen Spitzenpolitikerinnen und -politikern wissen, wie es ihnen heute geht. Wie verändert sich der Blick? Was vermissen sie, und was nicht? Altmaier sagte: „Wenn man das Leben nach der Politik nur als Minus versteht – weniger Bedeutung, weniger Möglichkeiten, weniger Ressourcen, dann wird es schwierig. Man muss es als Neuanfang sehen.“

Politiker nach Abschied 8.05

Vielleicht sind die Protokolle auch für den CSU-Politiker Andreas Scheuer interessant. Der ehemalige Verkehrsminister (Stichwort: Maut-Debakel) wollte den Bundestag eigentlich zum Ende der Legislatur verlassen, hat den Termin nun aber überraschend auf den 1. April vorgezogen. Für die Zeit nach der Politik scheint er bereits zuvor geplant zu haben. Ein Bericht von „Business Insider“ legt nahe, dass der 49-Jährige zukünftig als Unternehmensberater arbeiten wird. 

UND SONST SO? 

Mehr als 50 Jahre lang saß Wolfgang Schäuble im Parlament, war Minister unter Helmut Kohl und Angela Merkel, schließlich Bundestagspräsident. Am 26. Dezember 2023 starb Schäuble im Alter von 81 Jahren. Der stern veröffentlicht nun exklusiv vorab Auszüge aus seinen Memoiren, die nächste Woche erscheinen. Eins steht fest: Er hat viel zu erzählen – zum Beispiel wer ihn anstacheln wollte, Angela Merkel zu stürzen. 

STERN PAID 15_24 Schäuble-Memoiren

LAUTER LIEBLINGE

Ihr Highlight der Woche

ist ein Interview mit Marc Wallert aus Göttingen, der vor 24 Jahren im Urlaub auf Malaysia von Terroristen entführt wurde. Im Gespräch mit meiner Kollegin Miriam Hollstein spricht er nicht nur darüber, wie er die viereinhalb Monate als Geisel überstand, sondern auch, wie eine ganze Gesellschaft besser mit Krisen umgehen kann

Mein Highlight der Woche

ist die neue Kolumne des Kollegen Nico Fried. Darin schreibt er über den kuriosen Kommunikationsweg, den die Ampel-Regierung für sich entdeckt hat: das Briefeschreiben. Von Brieffreundschaften sollte in dem Fall allerdings nicht die Rede sein, dazu ist der Ton oft zu angespannt. Was es dann damit auf sich hat? Hier entlang

Weniger passiv-aggressiv klingt das meist – und darüber sind wir sehr froh – wenn Sie uns schreiben. Mein Kollege Veit Medick erhielt in der vergangenen Woche unter anderem Grüße von der dänischen Insel Rømø. Ihren Urlaub dort wolle sie als friedlich und hoffnungsvoll erleben, schrieb die Leserin. Wir hoffen, das hat geklappt.   

Ihnen eine gute Woche und bis zum nächsten Mal.  

Herzlich,  

Lisa Becke 

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