Sophia und Mia gehen seit mehr als 25 Jahren gemeinsam durch dick und dünn. Doch Mias toxische Beziehungen geben ihrer Freundin allmählich den Rest, denn ihre Ratschläge helfen nicht. Julia Peirano weiß, was zu tun ist.
Liebe Frau Peirano,
es geht hier nicht direkt um mich, sondern um meine beste Freundin Mia. Wir sind seit der Grundschule befreundet und haben letztes Jahr unseren 25.-jährigen Freundschaftstag gefeiert 🙂 Wir haben zusammen so viel durchgemacht, viele Höhen (Interrail, Salsa, Mädelsabende, Serien gucken, Pilates) und viele Tiefen (die Krankheit und den Tod meiner Mutter, einen Motorrad-Unfall von ihr und natürlich alle Männergeschichten). Sie kann sehr lustig und verrückt sein.
Und da sind wir auch schon beim Thema. Ich bin seit vier Jahren glücklich in einer Beziehung und habe eine kleine Tochter. Mia sucht sich oft schwierige Männer aus und hält an ihnen fest.
Die letzten Beziehungen:
Niklas war verheiratet, angeblich trennte er sich gerade von seiner Frau, und er hielt Mia hin, änderte nichts an seinem Leben und ließ sie am ausgestreckten Arm verhungern.Ben war ein ausgemachter Narzisst, dachte nur an sich, erzählte unwahre Geschichten über seine angeblichen beruflichen Erfolge und sein Vermögen, während er sich 20.000 Euro von Mia geliehen hat, die sie bis heute nicht zurückbekommen hat. Und er betrog sie mit anderen Frauen.Der aktuelle Typ in Mias Leben ist Jonas, ein totaler Blender. Groß, gut aussehend, Arzt, aber cholerisch und unberechenbar. Ich bin mir nicht sicher, ob er manchmal schon zugeschlagen oder Mia hart durch die Gegend gezerrt hat. Eine andere Freundin und ich haben merkwürdige blaue Flecken bei ihr gesehen und sie natürlich darauf angesprochen, aber sie hat komische Ausflüchte benutzt, die ich ihr, ehrlich gesagt, nicht glaube. Jonas macht sie auch verbal klein und sagt ihr, dass sie auf ihr Gewicht aufpassen müsse oder dass sie überreagiert, wenn sie (berechtigterweise) etwas anspricht, das sie stört.
Ich mache mir große Sorgen um Mia und würde mir wünschen, dass sie mal etwas genauer hinsieht bei ihrer Partnerwahl. Oder dass sie zumindest Schluss macht, sobald die ersten red flags auftauchen. Nach der Trennung von Ben haben alle Freundinnen gemeinsam mit Mia gesprochen und ihr gesagt, wie schlimm wir ihn fanden und wie froh wir sind, dass sie sich getrennt hat (was ewig gebraucht hat). Und wir haben ihr alle angeboten, ihr in Zukunft ehrlich zu sagen, was wir von ihren Männern halten.
Dann war sie drei Monate Single, blühte auf – und begegnete Jonas. Das ist jetzt ein Jahr her. Wenn es gerade mit Jonas gut läuft, investiert sie alles, um ihm zu gefallen und vernachlässigt auch ihr eigenes Leben. Und wenn es nicht gut läuft, ist sie am Boden zerstört, sagt uns Freundinnen aber nicht alles, zumindest vermuten wir das.
Ich habe ihr in den schlimmen Phasen schon oft gesagt, warum es aus meiner Sicht eine toxische Beziehung ist und ihr geraten, sich zu trennen. Ich habe ihr all meine Unterstützung angeboten, falls sie sich trennt, und sie weiß, dass sie sich auf mich verlassen kann. Sie hat sich dann öfter, ich kann das gar nicht anders sagen, „ein bisschen“ getrennt und sich drei Tage nicht bei Jonas gemeldet. Aber sobald er wieder einen Schritt auf sie zugemacht hat, hat sie sich wieder auf ihn eingelassen. Das geht jetzt schon seit neun Monaten so, sie hat sehr abgenommen und schläft schlecht. Ich dringe nicht wirklich zu ihr durch mit meinen Worten, und das geht den anderen Freundinnen auch so. Das Thema häusliche Gewalt streitet sie ab.
Auf der anderen Seite merke ich auch, dass es mich sehr belastet, ihr nicht helfen zu können. Ich ertrage Jonas nicht mit seiner toxischen Männlichkeit, und ich ertrage es auch nicht, wie Mia sich erniedrigt und sich das bieten lässt. Eigentlich ist sie auch eine Feministin und denkt, dass Frauen stark und selbstständig sein sollen. Nur in ihren Beziehungen macht sie genau das Gegenteil.
Ich will Mia nicht im Stich lassen, aber ich halte es teilweise nicht mehr aus, das mit anzusehen. Wie kann ich am besten mit ihr umgehen?
Viele Grüße und danke
Sophia P.
Liebe Sophia P.
ich kann gut nachfühlen, dass es Ihnen Schmerz bereitet, wenn Sie Ihre geliebte Freundin in einem so lange andauernden und sich ständig wiederholenden Beziehungsdrama erleben.
Sie kennen die starken und positiven Seiten von Mia, und Sie haben sozusagen innere Bilder gespeichert, wie lustig, mutig und lebendig sie sein kann. Und dann erleben Sie mit, wie in wechselnden Beziehungen zu Männern völlig andere Bilder von Mia ans Licht kommen: Sie macht sich abhängig, lässt sich erniedrigen, ist inkonsequent und verliert an Glanz. Sie kann nicht mehr schlafen, was ja auch für einen Verlust an Sicherheit und Geborgenheit spricht.
Das geht Ihnen bestimmt sehr gegen den Strich, das mit anzusehen! Und es löst auch Ohnmachtsgefühle in Ihnen aus, weil Mia sich nicht von Ihnen helfen lässt. Sie klingt ein wenig beratungsresistent, denn immerhin hat sie gute, sorgende, intelligente Freundinnen, die ihr ehrlich einen Blick von außen vermitteln und ihr helfen würden, sich aus toxischen Beziehungen zu befreien. Aber wie es scheint, folgt Mia mit traumwandlerischer Sicherheit einem inneren Handlungsmuster und wiederholt ihre schmerzhaften Erfahrungen in einer Endlosschleife, sogar mit wechselnden Männern.
Die Essenz ihrer Beziehungsdramen scheint die Frage zu sein: Spiele ich eine Rolle für dich? Respektierst du mich und achtest auf meine Grenzen und meine Wünsche? Bin ich nur liebenswert, wenn ich mich selbst aufgebe?
Es ist gut möglich, dass es sich bei dieser Verunsicherung um ein altes Thema aus Mias Kindheit handelt, dass sie mit nahen Bezugspersonen erleben und erleiden musste. Zum Beispiel, weil es einen übergriffigen und gleichgültigen Vater gab, bei dem sie keine Rolle spielte und der ihre Bedürfnisse übergangen hat. Diesen Konflikt konnte sie als Kind nicht lösen, und im Sinne eines Wiederholungszwangs reinszeniert sie diesen Kampf in ihren Partnerschaften und versucht dort, sie zu lösen. Das heißt, sie kämpft mit Niklas, Ben und Jonas um die Frage, wie liebenswert sie ist. Diese Männer sind Stellvertreter für z.B. den Vater, um den es eigentlich ging.
Doch was können Sie als beste Freundin tun, um nicht in dem Strudel unterzugehen? Ich würde Ihnen folgende Sichtweisen an die Hand geben:
Diese Thematik ist ein klassisches Therapiethema und müsste von Mia im Rahmen einer Psychotherapie bearbeitet werden. Die Selbstwertthemen und möglicherweise häusliche Gewalt überschreiten ganz klar den Rahmen von Gesprächen zwischen besten Freundinnen. Wenn eine Freundin von Ihnen Zahnschmerzen hätte, würden Sie ihr den entzündeten Zahn ja auch nicht selbst am Küchentisch ziehen, sondern ihr sagen, dass sie unbedingt zu einer Zahnärztin gehen muss!Die Entscheidung darüber, ob jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt an psychischen Themen arbeiten will, können Freunde oder Familienangehörige nicht beeinflussen! (Als Therapeutin arbeite nicht mit Menschen, die vom Arzt, einem Partner oder Freunden geschickt wurden und nicht selbst an sich arbeiten wollen. Die Erkenntnis ist nämlich, dass es überhaupt nichts bringt, wenn jemand nicht motiviert ist. Einer der wichtigsten Leitsätze aus meiner Therapieausbildung ist: Man kann den Hund nicht zum Jagen tragen.Fragen Sie sich einmal: Will Mia die Themen klären? Oder will sie sie im Moment nur wiederholen?)Nicht selten helfen tröstende Freund:innen ihren leidenden Freundinnen sogar unbeabsichtigt dabei, eine toxische Beziehung noch etwas länger auszuhalten. In Ihrem Fall hat Mia in Ihnen und den anderen Freundinnen ja immer eine stärkende und tröstende Schulter, an der sie sich ausweinen und aufbauen lassen kann. Und diese Energie nutzt sie dafür, wieder zu Niklas, Ben, Jonas zu gehen und weitere Szenen in dem toxischen Beziehungsdrama zu erleiden. Manchmal ist es in Beziehungen wichtig, dem Gegenüber einen möglichst klaren Spiegel vorzuhalten im Sinne von „“das sehe ich bei dir“. Es wäre einen Versuch wert, Mia zu sagen, dass Sie sehen, dass sie die toxischen Muster mit Männern wiederholt und sich nicht helfen oder beraten lässt. Und es ist ein essentieller Schritt, sich selbst eine Stimme zu verleihen, um sich aus der eigenen Hilflosigkeit zu befreien. Ich rate Ihnen, mit Mia darüber zu sprechen, wie Sie sich gerade ihr gegenüber fühlen und was das in Ihnen macht. Wie sehr es Sie ermüdet, anstrengt, entsetzt, immer wieder zu sehen, wie Mia sich ihrem jeweiligen Partner gefügig macht und sich aufgibt. Versuchen Sie, Ihre eigenen Gefühle klar zu äußern, ohne Mias Verhalten zu bewerten, abzuwerten oder zu analysieren. Sagen Sie ihr vielleicht: Ich kann dir hier nicht weiterhelfen, und das macht mich hilflos. Ich gebe es auf. (Und dann verweisen Sie immer wieder darauf, dass sie zu einer Therapeutin gehen sollte).Durch diese ehrliche Spiegelung ihrer eigenen Gefühle hören Sie auf, selbst dauerhaft mitzuleiden und zu hoffen – und zwar synchron zu Mias eigenem Leiden in ihren toxischen Beziehungen. Sondern Sie sagen im Prinzip: „Ich möchte mir das nicht mehr (in dem Maße) anhören, weil es mir nicht gut tut.“
Dann könnten Sie gemeinsam mit Mia darüber sprechen, wie Sie Ihre Freundschaft leben wollen, abseits von quälenden Gesprächen und wirkungslosen Ratschlägen zu Jonas, Niklas, Ben. Vielleicht können Sie mal wieder zum Salsa oder Pilates gehen? Oder einen gemeinsamen Abend mit den anderen Freundinnen planen? Es ist ganz wichtig, Mia immer wieder die positiven Bilder, die Sie von ihr haben, vor Augen zu führen. Wie mutig und stark sie sein kann, wie lustig, wie wundervoll. Das braucht sie, um die Kraft zu finden, sich zu trennen.
Es ist natürlich nicht einfach, Ihre Freundin mit ihren Beziehungsdramen ein Stück weit alleine zu lassen. Aber was würden Sie machen, wenn Ihre Freundin mit chronischen starken Zahnschmerzen nicht zur Zahnärztin geht, sondern immer wieder bei Ihnen über die Schmerzen klagt? Wie lange würden Sie denken, dass Sie ihr helfen, wenn Sie sich das anhören? Oder würden Sie sogar dazu beitragen, dass Ihre Freundin die (Zahn)Schmerzen überhaupt aushalten kann, weil Sie sie immer trösten? Und wäre das gut?
Ich wünsche Ihnen viel Mut und Klarheit, für sich und somit auch für Mia einen guten Weg zu finden, um nicht mehr so viel mitzuleiden. Damit würden Sie auch vorleben, wie man sich abgrenzen und für sein eigenes Wohlbefinden sorgen kann.
Herzliche Grüße
Julia Peirano