Der perfektionistische Traum vom Zuhause und der Elternschaft rüttelt an der Beziehung, Patrick P. hat das Gefühl, mit seinen Bedürfnissen zu kurz zu kommen. Julia Peirano zeigt großes Verständnis und hat eine Idee.
Liebe Frau Peirano,
meine Frau und ich sind seit acht Jahren verheiratet und haben zwei Kinder (Tochter, 3 Jahre, und Sohn, 7 Monate). Ich arbeite sehr viel, das haben wir so beschlossen, und meine Frau ist gerade in Elternzeit.
Sie ist jemand, der sehr perfektionistisch ist und sich viele Gedanken um Kleinigkeiten macht. Sie ist schnell gestresst und überfordert. Ein Beispiel: Beim Kindergeburtstag für unsere Tochter backt sie drei Kuchen selbst, putzt das ganze Haus und stimmt auch die Servietten farblich auf die Teller ab. Nachmittags kommt die Familie, am nächsten Tag ist Kindergeburtstag, auch da ist alles perfekt vorbereitet und sogar Essen für die Eltern der Gastkinder vorhanden.
Ich sage ihr oft, sie solle das entspannter sehen, schließlich ist es nur ein Kindergeburtstag für eine Dreijährige, und allen wäre mehr damit gedient, wenn meine Frau nicht so angespannt wäre. Davon will sie aber nichts wissen. Im Gegenteil: Sie spannt mich ein, sobald ich das Haus betrete. Ich soll am liebsten gleichzeitig mit den Kindern spielen, sie zur richtigen Zeit ins Bett bringen, Abendbrot machen, sie nach ihrem Tag fragen und dann noch die Küche nach ihren Vorgaben perfekt sauber machen.
Wenn ich ausgehen will, findet sie immer Gründe, warum das nicht geht. Ich habe früher Handball gespielt und würde das gerne auch wieder regelmäßig machen, wenigstens einmal die Woche und ab und zu zu einem Spiel am Wochenende. Doch meiner Frau ist das nicht recht. Sie macht mir Vorwürfe, dass sie dann auch am Wochenende mit den Kindern alleine ist. Sie beschwert sich, dass ich so viel arbeite und so wenig für die Kinder da bin. Dabei finanziere ich unser Haus und den Großteil des Lebensunterhalts!
Wenn ich mal mit Freunden ausgehen oder mit meiner Frau zusammen ein Wochenende verbringen will (z.B. weil eine Hochzeit ansteht), denkt meine Frau als erstes an die Kinder und macht aus dem schicken Abendessen mit Freunden einen Familiennachmittag mit befreundeten Familien und deren Kindern. Anstatt mal zu zweit auf eine Hochzeit in einem Schloss zu fahren und mal wieder Zeit für uns zu haben, bucht sie ein Familien-Appartement und nahm die Kinder mit, obwohl Kinder bei dieser Hochzeit nicht so gerne gesehen waren.
Unterm Strich komme ich mir vor wie der Papa und Ernährer, aber ich selbst komme nicht mehr vor. Und meine Frau ist auch nur noch eine Mutter, und hat kaum Zeit für mich. Ich merke, dass ich immer unzufriedener werde, aber mit ihr ist nicht zu reden. Sie wird schnell vorwurfsvoll oder ist beleidigt.
Noch etwas: Ich bekomme von ihr überhaupt keine Anerkennung, sondern sie hat immer etwas auszusetzen, fordert noch mehr von mir und findet viele Gründe, warum ich etwas nicht richtig mache. In unserem Freundeskreis gibt es schon die ersten Trennungen und ich frage mich manchmal, ob das für mich nicht der bessere Weg wäre.
Wie lautet Ihre eine Einschätzung?
Viele Grüße
Patrick P.
Lieber Patrick P.,
vor 20 Jahren habe ich häufig Frauen in Therapie gehabt, die mit den Kindern, dem Haushalt und der eigenen Berufstätigkeit überfordert waren. Diese Thematik gibt es natürlich auch jetzt noch sehr häufig. In den letzten Jahren sind jedoch oft auch Männer in Therapie gekommen, die sich in einer ähnlichen Situation befanden wie Sie. Sie hatten ein oder mehrere Kinder, nahmen ihre Vaterrolle ernst, hatten gleichzeitig einen anspruchsvollen Beruf und fühlten sich zu Hause in ihren Familien nicht wohl.
Zum Einen fehlte ihnen Zeit für sich, zum Anderen gab es kaum Zeit für Zweisamkeit und Intimität mit ihrer Frau, und darüber hinaus fühlten sie sich von ihrer Frau auch häufig kritisiert, bevormundet und nicht Ernst genommen.
Es wird Sie sicher nicht wundern, wenn ich Ihnen sage, dass die meisten dieser Geschichten entweder in einer Trennung oder erst in einer Affäre und dann in einer Trennung geendet haben. In den Jahren bis zu einer Trennung gab es viele Frustrationen, teilweise Aggressionen und Streit, teilweise stillen Rückzug bis hin zu innerer Kündigung. Also haben alle Beteiligten in diesen Familien lange gelitten und sind nicht auf ihre Kosten gekommen. Ich habe großes Verständnis für Ihre Situation! Es hört sich so an, als wenn Ihre Frau alleine die Regeln vorgibt, nach denen alle leben sollen, und nicht bereit ist, gemeinsam mit Ihnen zu überlegen, wie Sie leben wollen.
Es hört sich auch so an, als wenn Ihre Frau überhöhte Erwartungen an sich selbst als Mutter und an Sie als Vater hat und eine Art modernes Bullerbü nachleben möchte: perfekte Kindergeburtstage, ein ständig sauberes und vorzeigbares Haus, ein gutes Netzwerk von anderen Familien (mit denen es möglicherweise auch unterschwellige Konkurrenz um die Goldmedaille als beste Eltern gibt). Ihre Frau scheint sich als Individuum und selbstständiger Mensch irgendwie verloren haben in den Anstrengungen mit der Mutterrolle. Es kann sein, dass sie unterschwellig frustriert darüber ist, dass sie sich keine Entspannung und kein eigenständiges Leben erlaubt, und diese Frustration damit kompensiert, eine noch bessere Mutter zu sein.
Den Frauen, die diesen Artikel lesen und sich in dem Verhalten Ihrer Frau wiederfinden, kann ich zwei Bücher empfehlen:
Die Schule der Frauen von Iris Radisch
Die Erschöpfung der Frauen: Wider die weibliche Verfügbarkeit von Franziska Schutzbach.
Ich denke, dass es kaum möglich sein wird, etwas an Ihrem Familienkonstrukt zu verändern, wenn Ihre Frau nicht bereit ist, sich zu hinterfragen und umzudenken.
Deshalb würde ich Ihnen empfehlen, Ihrer Frau ganz ernsthaft zu sagen, wie Sie sich fühlen und wie unzufrieden Sie sind. Es wäre an dieser Stelle auch legitim, ihr von Ihren Trennungsgedanken zu erzählen, damit Sie den Ernst der Lage begreift. Denn es klingt so, als wenn Ihre Frau ihre eigene Fokussierung auf das (vermeintliche) Wohl der Kinder und ihre eigene Mutterrolle auch unreflektiert auf Sie projiziert. Sie erwartet vermutlich, dass auch Sie die gleiche Vorstellung von einer perfekten Familie haben (müssen) und gerne alles dafür opfern.
Da es in Gesprächen mit Ihrer Frau alleine Widerstand und Konflikte gibt, würde ich Ihnen empfehlen, mit Ihrer Frau in eine Paarberatung zu gehen und dort genau an den Vorstellungen von einem gelungenen Familienleben zu arbeiten. Möglicherweise hat Ihre Frau in Ihrer eigenen Kindheit nicht die heile Familie gehabt, die Sie jetzt ihren Kindern bieten will, und überkompensiert ihre Kindheitsverletzungen durch perfektes Bullerbü-Mutter-Leben.
Es ist wichtig, dass Sie immer wieder betonen, dass Sie so nicht leben wollen. Sie möchten Zeit für sich haben, also für Sport, Erholung und Ihre Freunde, und Sie möchten auch als erwachsenes Paar mit Ihrer Frau Zeit haben für Zärtlichkeiten, Gespräche und schöne Unternehmungen.
Natürlich ist die Zeit, die jedem von Ihnen in dieser Phase bleibt, begrenzt. Sie haben sehr kleine Kinder und Sie arbeiten viel. Und dennoch ist es wichtig, sich bewusst Zeiten für einander zu nehmen und dem Partner/der Partnerin den Rücken freizuhalten, damit man in Kontakt mit sich selbst, seinen Bedürfnissen und auch gesund bleibt.
Sie können Ihrer Frau klarmachen, dass eine Familie kein Gefängnis ist, sondern ein Ort, an dem man sich wohlfühlt und gerne einbringt. Und an dem man auch entspannen kann. Denn eines kristallisiert sich ganz deutlich aus den Erzählungen von Müttern und Vätern von erwachsenen Kindern heraus: Die Arbeitslast wird NIEMALS von alleine einfacher und weniger! Man mag hoffen, dass es nach Weihnachten oder nach der Einschulung der Kinder endlich besser und entspannter wird, aber das ist ein Trugschluss. Es ist immer irgendetwas kaputt, es liegen stehen viele Aufgaben an, es gibt immer Konflikte in der Familie oder im Job.
Es ist wie ein zu kurzes Tischtuch, das man nach links zieht, damit der Tisch dort bedeckt ist. Doch damit liegt die rechte Tischseite blank. Und zieht man das Tuch wieder nach rechts, ist links unbedeckt.
Ich würde allen Familien, die sich überfordert fühlen, raten, sich viel Hilfe zu holen und sich dadurch zu entlasten. Ein paar Vorschläge: eine Putzhilfe, die mehrmals die Woche kommt oder sogar eine Haushaltshilfe, die auch kocht und bügelt oder mit den Kindern auf den Spielplatz und danach einkaufen geht. Eine Biokiste oder eine Bestellung im Supermarkt mit Lebensmitteln, die geliefert werden. Eventuell wäre sogar ein Au-Pair für diese Zeit hilfreich. Wenn es keine Großeltern gibt, kann man auch im Internet ehrenamtliche Großeltern finden, die gerne Kindern vorlesen oder mit ihnen mal ins Theater gehen. Sie könnten auch selbst einen Babysitter engagieren und einarbeiten, damit Sie regelmäßig zum Handballtraining gehen können. So würden Sie Ihrer Frau zeigen, dass Sie für sich sorgen, ohne sie mit den gewonnen Freiheiten zusätzlich zu belasten.
Ich hoffe, dass Sie Ihre Unzufriedenheit als einen Anlass nehmen, mit Ihrer Frau an einem entspannteren und glücklicheren Familienmodell zu arbeiten. Noch haben Sie wahrscheinlich gute Chance, diese Krise als Anlass für Wachstum und Veränderung zu nehmen. Viele Paare warten zu lange, bevor sie sich Hilfe holen und an ihrer Beziehung arbeiten. Dann kann man als Paartherapeut:in meist nur noch feststellen, dass die Beziehung schon lange nicht mehr lebt und demnach auch nicht zu retten ist.
Ich wünsche Ihnen viel Kraft, Mut und Hartnäckigkeit beim Verändern der Spielregeln für das Zusammenleben!
Herzliche Grüße
Julia Peirano
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