Staatschef Erdoğan zeigt sich nach herben Verlusten bei den Kommunalwahlen überraschend demütig. Sein schärfster Konkurrent – Istanbuls Bürgermeister İmamoğlu – empfiehlt sich hingegen endgültig als Nachfolger.

Man kennt das nicht von ihm ­– Demut –, doch Recep Tayyip Erdoğan blieb nichts übrig, als er Sonntagnacht als Wahlverlierer ans Mikrofon trat: Die Botschaft der Wähler sei angekommen, sagte der türkische Präsident, es sei nun die Zeit der Selbstkritik gekommen, des Konsequenzenziehens, ein Wendepunkt.

Erdoğan hatte diese Kommunalwahlen zu einer Abstimmung über sich selbst gemacht. Er war quer durchs Land getourt, als ginge es um den Mietvertrag im Präsidentenpalast, nicht in den Rathäusern der Provinzen. Dass seine Regierungspartei AKP viele davon nun an die Opposition, vor allem die sozialdemokratische CHP, abgeben muss, überraschte selbst langjährige Experten. Es ist ein Zeichen dafür, dass er die Demokratie in seinem Land noch nicht bewusstlos gewürgt hat.

Turk Kommunal 8.45

Erdoğans nationalistische Mär von eigenproduzierten Autos und Kampfjets, von einem türkischen Astronauten im All, das alles verfängt nicht mehr angesichts einer abstürzenden Wirtschaft. Viele Türkinnen und Türken wollen einen politischen Wandel. Und sie sehen ihn vor allem in einem Mann, der als großer Gewinner aus diesen Wahlen hervorgeht: Ekrem İmamoğlu, der neue und alte Oberbürgermeister von Istanbul.

İmamoğlu macht keinen Hehl daraus, dass er nach Erdoğans Position trachtet

Die mit Abstand größte Stadt der Türkei stand im Rampenlicht dieser Wahlen. Erdoğan, selbst aus Istanbul stammend, selbst in den 90er-Jahren an der Stadtspitze, hatte die Metropole 2019 an İmamoğlu verloren.

Locker machen: Istanbuls regierender Bürgermeister Ekrem İmamoğlu bleibt auch die nächsten Jahre Rathauschef. Sein Sieg bei den Kommunalwahlen empfiehlt ihn aber noch für höhere Ämter
© Yagiz Gurtug

Der 52-Jährige trat am Wahlabend ein paar Stunden vor dem Präsidenten vor seine Anhängerschaft. Mit der heißeren Stimme eines Siegers rief er ihr entgegen: „Heute ist die Ein-Mann-Herrschaft vorbei!“ Der CHP-Mann macht keinen Hehl daraus, dass er nach Erdoğans Position als Staatschef trachtet. Noch zur Präsidentschaftswahl im Mai 2023 blieb ihm eine Kandidatur verwehrt, weil Parteichef Kemal Kılıçdaroğlu sie sich selbst unter den Nagel riss. Schon damals war es knapp für Platzhirsch Erdoğan. Kılıçdaroğlu verlor erst in der Stichwahl.

Nun soll es İmamoğlu richten, als höchstwahrscheinlich nächster Präsidentschaftskandidat 2028, als charismatischster Gegenspieler, den Erdoğan je hatte. In seiner Demutsrede betonte das Staatsoberhaupt indes: Diese Wahlen seien „nicht das Ende“. Doch sie könnten gut und gerne der Anfang vom Ende sein.