Tamara Schwab war Anfang 20 und topfit, als ihr Herz aus dem Rhythmus kam. Zwei Herstillstände und etliche Fehldiagnosen später hatte sie die Hoffnung darauf, noch einmal gesund zu werden, fast aufgegeben. Dann schenkte man ihr ein Bonusleben.

„Sie werden so niemals für ein Spenderherz gelistet werden“ – als ein Arzt mir diese Worte sagte, war ich 28. Ich bin ehrlich, da war ich kurz davor aufzugeben. Knapp zwei Monate später schlug ein fremdes Herz in meiner Brust.

Herzmuskelentzündung. Das war die Diagnose, mit der alles begann. Wahrscheinlich, vermuteten die Ärzte, hätte ich krank Sport gemacht. Als ich nach anderthalb Jahren Zwangspause endlich wieder loslegen konnte, konnte ich es kaum erwarten. Ich joggte direkt zehn Kilometer, fühlte mich fit. Einen Monat lang. Dann kippte ich im Fitnessstudio vom Rad: Herzstillstand. Das war kurz vor meinem 25. Geburtstag.

Der Defibrillator wurde mir damals als eine Art Lebensversicherung verkauft, die mich vor weiteren Herzstillständen bewahren würde. Ein halbes Jahr später bekam ich zu spüren, was das bedeutet. Wieder war ich im Krankenhaus, wieder Diagnose Herzmuskelentzündung, inzwischen chronisch, ausgelöst durch mein Immunsystem. Und das kurz vor meinem lang ersehnten Urlaub. Die Therapie wurde noch schnell umgestellt, ich flog nach Ibiza. Am zweiten Tag verpasste mir der Defi dort im Frühstücksraum fünf Schocks, ich wurde ohnmächtig. Das war mein zweiter Herzstillstand.

STERN PAID 13_24 Titel Herz Frieda   20.30

Wenn der Defibrillator einsetzt, fühlt sich das an, als würde einem ein Pferd mit vollem Karacho in die Brust treten. Darauf bereitet einen niemand vor. Es war traumatisierend und  ich konnte nichts dagegen tun, ich war dem Gerät ausgeliefert, konnte es nicht stoppen. Fünf Schocks musste ich über mich ergehen lassen. 

Ich empfand den Defi als tickende Zeitbombe in der Brust

Diese Schocks waren das Schlimmste, was ich jemals erleben musste. Ich verlor dadurch komplett das Vertrauen in das Gerät. Ab diesem Moment empfand ich den Defi als tickende Zeitbombe in der Brust, die jederzeit hochgehen kann. Die Angst vor dem Gerät wurde größer als die Angst vor der Erkrankung. Ich hatte Alpträume und musste in psychologische Betreuung.

Die Herzrhythmusstörungen blieben. Ich lief von Arzt zu Arzt, irgendwann waren sie alle mit ihrem Latein am Ende. Zu diesem Zeitpunkt hatte mir die Krankheit im Prinzip alles genommen, was mich früher ausgemacht hat. Ich konnte nur noch in Teilzeit arbeiten, Sport war tabu, Reisen auch. Ich war ständig krank. Es war ein einziges „rein ins Krankenhaus, raus aus dem Krankenhaus“. 2020 zog ich zurück zu meinem Vater. Vor dem Alleinleben hatte ich irgendwann zu viel Angst und die Hoffnung, dass ich noch einmal gesund werden könnte, so gut wie verloren.

Jahrelang hatte man mir eingeredet, dass meine Herzprobleme von einer Herzmuskelentzündung kommen. Keiner der vielen Ärzte war bis dahin auf die Idee gekommen, dass eventuell etwas anderes dahinterstecken könnte. Keiner der vielen Spezialisten hatte sich die Mühe gemacht, einen einfachen Bluttest zu machen. Darauf musste erst ein Arzt aus einer Kleinstadt kommen, der mir eigentlich nur hatte ein Rezept ausstellen sollen. Durch ihn bekam ich endlich die richtige Diagnose und erfuhr, dass  keine Herzmuskelentzündung sondern ein Gendefekt dafür sorgt, dass mein Herz Stück für Stück vernarbt. Endlich Gewissheit zu haben, war eine Erleichterung. 

Der nächste Tiefschlag kam vier Monate später. 

Das einzige, was man damals noch für mich tun konnte, was zumindest zeitweilig gegen die Herzrhythmusstörungen half, waren Verödungen im Herzen. Als mir der Defi nach genau so einer OP acht Schocks ­– ja, genau, acht! – verpasste, war klar, dass selbst diese OP, also die einzige Möglichkeit, die mir überhaupt noch geblieben war, nichts besser, sondern alles noch schlechter machte. Mit 28 galt ich offiziell als austherapiert. Es blieb nur ein Spenderherz. Trotzdem sagte der Arzt, dass ich vorerst keine Chance hätte auf die Liste kommen würde.Herz-Protokoll   19.30

Wäre ich nicht so stur und resilient, hätte ich nach dieser Aussage vielleicht keinen Sinn mehr im Weiterleben gesehen. Aber ich wollte noch was vom Leben. Und mir war auch klar, dass ich selbst, wenn ich irgendwann nicht mehr die Kraft haben sollte, für mich selbst zu kämpfen, immer für meine Familie weiterkämpfen würde. Sie sollten nicht irgendwann an meinem Grab stehen müssen. 

Dass ich drei Wochen später dann doch auf der Organspendeliste stand, habe ich einem Selbsthilfeverein und einem weiteren Arzt aus einer anderen Klinik zu verdanken, der mir sofort einen Termin in einem Transplantationszentrum besorgt hatte. Nach der Listung dauerte es 33 Tage, dann kam der Anruf: Das Herz ist da. 

Am Anfang lag ich nachts wach und hörte nur auf den Herzschlag

Ich weiß noch, dass das neue Herz anders in meiner Brust pumpte. Es hämmerte so stark gegen meinen Brustkorb, dass es mir Angst machte. Wenn ich mein Herz vorher so gespürt hatte, war das immer mit Gefahr verbunden gewesen – plötzlich sollte dieses Gefühl normal sein. Am Anfang lag ich nachts wach und hörte nur auf den Herzschlag. Ich konnte nicht glauben, dass das ein gesundes Herz in mir ist, das Herz eines Fremden. Mittlerweile sind wir zusammengewachsen und ein eingespieltes Team. Es ist kein Fremdkörper mehr, sondern einfach mein neues Herz, das mich am Leben hält. 

Mit 28 habe ich ein Bonusleben bekommen – und das ist mir sehr bewusst. Vielleicht will ich auch deshalb jetzt unbedingt intensiv leben, viel erleben, alles mitnehmen.